Essen. Kann Früherkennung Leben retten? Studien dämpfen die Hoffnung auf einen verbesserten Schutz: Man kann hingehen oder nicht, lautet die provozierende These. Beispiel Mammographie-Screening: Von 1000 oder 2000 Frauen profitiert nur eine – hochgerechnet auf zehn Jahre.

Marion Kaufmann (62) aus Mülheim hat lange gebraucht, bis sie sich einen Termin der Radiologischen Praxis hat geben lassen. Jetzt ist sie der Einladung zum Mammografie-Screening doch noch gefolgt. Wenn Prominente wie Barbara Rudnik an Krebs sterben, rüttelt das wach.

Skepsis wird lauter

Ob Brust-, Darm- oder Prostatakrebs – Ärzte, Stiftungen und Prominente wie die Klitschko-Brüder oder Talkstar Sandra Maischberger haben sich längst in den Dienst der Früherkennung gestellt.

Doch nun wird Skepsis laut: Man kann hingehen – oder es auch lassen, so das Fazit provozierender Studien, die Ärzte vor Ort in Erklärungsnot bringen. Was das Mammografie-Screening (screening: durchsieben) angeht: Von 1000 oder 2000 Frauen profitiert nur eine Frau – hochgerechnet auf zehn Jahre.

Barbara Kols-Teichmann, einst selbst an Brustkrebs erkrankt und nun Vorsitzende des Förderveins Brustzentrum „Die Revierinitiative” in Gelsenkirchen, hält diese Studien für unverantwortlich. „Mittlerweile ist die Krebs-Diagnostik deutlich verbessert worden. In Zukunft werden die Zahlen anders ausfallen.”

Patienten sind verunsichert

Besondere Aufregung erzeugt die oben genannte skandinavische Studie (Gotzsche und Nielsen). Sie werde immer wieder zitiert, Ärzte vor Ort müssen Patienten beruhigen. „Dabei ist sie extrem umstritten”, so Dr. Frank Stöblen, Leiter des Screenings-Programms Essen-Mülheim-Oberhausen, in dessen Großpraxis jährlich 127 000 Frauen untersucht werden. „Andere Studien belegen: Von hundert an Brustkrebs erkrankten Frauen gab es ohne Screening 31 Tote, mit 20 Tote.” Für ihn wie auch für die Deutsche Krebshilfe gilt: „Das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, wird durch die Mammografie um dreißig bis 35 Prozent gesenkt.” Prof. Rainer Kimmig, Gynäkologe an der Essener Uniklinik, nimmt die Skepsis zur Kenntnis: „Aber selbst wenn nur eine Frau von tausend gerettet wird, es muss uns den Aufwand wert sein.”

Dr. Klaus Koch vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) gehört zu denen, die neben Nutzen auch Gefahren sehen, „weil Früherkennung auch dazu führen kann, dass Gesunde unnötig zu Kranken werden”. Ein Vorwurf, mit dem sich vor allem Urologen quälen müssen. Prof. Berthold Schneider, Urologe (Praxisklinik Rhein Ruhr, Mülheim): „Ja, damit wir einen Kranken retten, müssen wir sehr viele Gesunde wie Krebskranke behandeln.” Vor allem die Fixierung auf den PSA-Wert bereite Skeptikern, aber auch ihm Kopfzerbrechen. Denn der PSA-Test (Prostata-spezifisches-Antigen) sei kein „Tumormarker”. Werde aber oft geradezu panisch missverstanden. Und in der Praxis laufe es oft so: Erhöhter PSA-Wert, Gewebe-Probe, die keinen genauen Hinweis gibt – und schon werde operiert. Mit der großen Gefahr von Inkontinenz und Impotenz. Obwohl der Tumor in vielen Fällen nichts angerichtet hätte, sagt selbst Urologe Schneider. „Doch warten und erleben, wie Männer vielleicht von Knochenmetastasen geplagt werden?”

Beim Darm hilfreich

Lange galt Früherkennung als Volkssport, doch jetzt häufen sich auf allen Gebieten die Fragen, ob sich Vorsorge lohnt. Besonders in der Kritik ist die Impfung gegen Humane Papillom-Viren (HPV) für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Die Krankenkassen übernehmen die Impfkosten (ca. 480 Euro) gegen Gebärmutterhalskrebs, obwohl die Wirksamkeit nicht belegt sei, so Kritiker. Vorwurf: Es wird nur gegen zwei, wenn auch Hauptstämme, geimpft. Es fehlen Langzeittests. Und: Kondome wären eine Alternative, sagt Prof. Kimmig, der dennoch zur Impfung rät.

Auch wenn manche Ärzte heute kritisch sind – im Zweifel sind sie für die Früherkennung „Beim Darm hilft sie zweifelsfrei”, sagt Prof. Wolff Schmiegel, Chef an der Uniklinik Knappschaftskrankenhaus Bochum, der Stimmen wie die der Gesundheitskritikerin Prof. Ingrid Mühlhauser abschmettert. Die angebliche Nutzlosigkeit wie die Gefahren bei Darmspiegelungen (Blutungen) seien „durch kein Fakten belegt”.

Belegt sei, dass in den letzten sieben Jahren 15 000 Menschen durch die Darmspiegelung gerettet wurden. „Das hat das Deutsche Krebsforschungs-Zentrum in Heidelberg anhand von Werten der 1,857 Millionen durchgeführten Spiegelungen ergeben.” Es könnten „sogar 150 000 Leben gerettet werden”, wenn die Menschen ab 55 Jahren verstärkt zur Darmspiegelung gingen.