Addis Abeba. Bärbel Dieckmann ist die neue Präsidentin der Welthungerhilfe. Die Bonner Oberbürgermeisterin will sich künftig vor allem der Entwicklungshilfe zuwenden. Ihre rste Auslandsreise im neuen Amt führte Dieckmann nach Äthiopien.

Eben noch war „Krise” für Bärbel Dieckmann eine politische Vokabel. „Krise” klang nach Abwrackprämie und Kurzarbeit. Jetzt aber steckt die Bonner Oberbürgermeisterin selbst in der Krise: in einem elenden Viertel von Äthiopiens Hauptstadt Addis, in der Stube einer alten Dame. Abebech Tulu heißt die Dame. Ihre Stube ist drei Schritte lang und zwei Schritte breit. Jesus Christus hängt gleich dreimal an der Wand, auf dem PVC-Boden wetzt ein Kätzchen seine Krallen. Die Hausherrin bietet Bärbel Dieckmann, der Präsidentin der Welthungerhilfe, Popcorn an.

In Äthiopien spielen sich biblische Szenen ab

Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin von Bonn, auf ihrer ersten Auslandsreise als Präsidentin der Welthungerhilfe in Äthiopien. Foto: Jens Grossmann
Bärbel Dieckmann, Oberbürgermeisterin von Bonn, auf ihrer ersten Auslandsreise als Präsidentin der Welthungerhilfe in Äthiopien. Foto: Jens Grossmann © Grossmann, Jens

Seit Dezember steht die 60-Jährige an der Spitze dieser „Nichtregierungsorganisation”. Ihre erste Reise im Amt führt sie nach Äthiopien. „Weil wir hier seit Jahrzehnten Projekte durchführen”, sagt sie. Aber das ist es nicht allein. Äthiopien eignet sich überhaupt gut für die Themen Hunger und Hilfe. Auf dem Lande spielen sich noch biblische Szenen ab. Da geben Ochs' und Esel den Takt vor, da schwemmt der Regen ganze Ernten weg, da gönnt die Orthodoxe Kirche den Gläubigen 120 Feiertage im Jahr, was die Felder schlecht vertragen.

Bärbel Dieckmann wird als hoher Gast begrüßt, aber sie führt nicht das große Wort. Sie ist keine „Frengi” – so nennen die Äthiopier Weiße, die immer alles besser wissen. Sie knuddelt auch nicht jedes Kind am Wegesrand. Und Dieckmann macht von Beginn an etwas anders als ihre Vorgängerin Ingeborg Schäuble. Die hatte einer Zeitschrift verraten, dass sie in zwölf Jahren in keinem Entwicklungsland je Salat angerührt hatte. Die „Neue” denkt nicht an Kolibakterien; sie isst, was auf den Teller kommt.

Entwicklungshilfe ist Dieckmann nicht fremd. Bonn gilt als Hauptstadt der Entwicklungszusammenarbeit. 2005, nach dem Tsunami, half Bonn der Stadt Cuddalore in Indien. Sit 2002, als die Welthungerhilfe am Rhein ihr 40-jähriges Bestehen feierte, ist der Draht zu Dieckmann kurz.

Dieckmann möchte nicht mehr Oberbürgermeisterin sein

Bärbel Dieckmann packt im Bonner Rathaus ihre Sachen. Künftig möchte sie gemeinsam mit der Welthungerhilfe Kindern den Schulbesuch ermöglichen. Foto: Jens Grossmann
Bärbel Dieckmann packt im Bonner Rathaus ihre Sachen. Künftig möchte sie gemeinsam mit der Welthungerhilfe Kindern den Schulbesuch ermöglichen. Foto: Jens Grossmann © Grossmann, Jens

Es ist ihr zweiter Afrika-Besuch in wenigen Wochen. Beim ersten, in Sharm el Sheik, Ägypten, stritt Dieckmann für Bonn um den Sitz der Internationalen Energieagentur Irena. Die zweite Visite führt weg von Diplomaten und elitärem Smalltalk. Sie führt auch fort vom alten Job. Dieckmann will nicht mehr Oberbürgermeisterin sein. „21 Jahre wären zu viel”, sagt sie.

Also packt sie im Rathaus ihre Sachen. Und sucht Begegnungen wie die in der kleinen Stube in Addis: Neben der miauenden Katze steht ein Mädchen: Emebet, die Enkelin der alten Dame. Sie trägt ein Holzkreuz um den Hals. „Ihr Vater ist tot, die Mutter weggelaufen”, sagt die verwitwete Oma, die als Tagelöhnerin fünf Enkel durchbringen muss. Emebet und ihre Oma gehören zu den Ärmsten im Armenviertel. Die Welthungerhilfe ermöglicht hier 225 Kindern Schulbesuch oder Berufsausbildung. Dieckmann saugt aus solchen Begegnungen Argumente: „Viele fragen, warum wir uns in Deutschland nicht zuerst um unsere Bedürftigen kümmern. Aber das ist eine andere Art von Bedürftigkeit.”

Spender sollen wissen, was mit ihrem Geld passiert

Die Welthungerhilfe schmückt sich mit dieser Präsidentin. Weil sie ein Typ ist. Weil sie sich nicht erst, wie Ingeborg Schäuble, aus der Rolle der Politikergattin herausarbeiten muss. Für die SPD im Umfragetief dürfte Dieckmanns Abgang hingegen schmerzlich sein. „Wenn man keine Ämer mehr hat, sollte man auch nicht mehr im Parteipräsidium sitzen”, sagt sie.

Das Gespräch mit der kleinen Emebet und ihrer Oma bringt Dieckmann ins Grübeln: „Menschen sind eher bereit, etwas zu spenden, wenn die ein Gesicht vor Augen haben. Andere setzten auf Patenschaften für Kinder.” Aber sie weiß, dass solche Patenschaften hohe Verwaltungskosten verursachen. Überhaupt seien die Spender heute kritischer. „Sie wollen genau wissen, was mit ihrem Geld passiert, und das ist ja auch gut so.”