Berlin:. Eine neue Untersuchung von 187 Holzfunden aus Schöningen zeigt: Schon die Vorfahren der Neandertaler beherrschten den Umgang mit Holz.

Die Fundstätte Schöningen bei Helmstedt genießt seit Jahren international den Ruf als bedeutendste Fundstelle für Holzgeräte: Mit einem Alter von 300.000 Jahren gelten die dort erhaltenen Werkzeuge als die ältesten vollständig erhaltenen Holzgeräte der Welt. Eine neue Auswertung der Fundstücke liefert nun neue Einblicke in die Handwerkskunst früher Menschen.

Lesen Sie auch: Forschende entdecken 300.000 Jahre alte Fußabdrücke

Der erste Fund auf dem Areal wurde 1994 mit einem Wurfstab gemacht. Die beidseitig zugespitzte Waffe ist gut 77 Zentimeter lang und hat einen maximalen Durchmesser von 2,5 Zentimetern. Bekannt wurde die archäologische Fundstelle bei Schöningen jedoch erst durch den Fund von Holzspeeren, die zwischen 1,8 und 2,5 Meter lang sind und vermutlich vom Homo heidelbergensis, dem Vorfahren des Neandertalers, hergestellt wurden.

Die Fundstelle beherbergt inzwischen 187 Holzartefakte, darunter mindestens 20 Jagdwaffen und 35 weitere Werkzeuge, die vermutlich dem häuslichen Gebrauch dienten, etwa zur Bearbeitung von Tierhäuten. Unter der Leitung von Dirk Leder vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege wurden die Artefakte jetzt in einer Studie untersucht, die in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) veröffentlicht wurde.

Für Alfred Gogolin gehört das Forschungs- und Erlebniszentrum Paläon in Schöningen zu den schönsten Orten.
Für Alfred Gogolin gehört das Forschungs- und Erlebniszentrum Paläon in Schöningen zu den schönsten Orten. "Nicht nur die Speere, sondern auch die futuristische Architektur sind sagenhaft und wenn die Drachen steigen als Motiv besonders spektakulär." © Unbekannt | Alfred Gogolin

Seltener Fund: Jagdwaffen zeugen von perfekter Holzbearbeitung durch Frühmenschen

Die Untersuchungen ergaben, dass es sich bei den Jagdwaffen nicht einfach um „Stöcke mit Spitzen“ handelte, wie die Forschungsgruppe um Leder in ihrer Studie schreibt, sondern um „technisch fortschrittliche Werkzeuge”. Schon das Material zeugt von technischem Geschick: Wie die Forscher berichten, wurden die Werkzeuge vor allem aus Fichtenholz hergestellt, gelegentlich aber auch aus Kiefer und Lärche – Materialien, die die Frühmenschen gezielt aus kühleren Regionen, etwa aus den Höhenlagen des nahen Harzes, holten, weil sie wussten, dass das Holz der dort langsamer wachsenden Bäume besonders hart ist.

Auch die Verarbeitung der Werkzeuge war fortschrittlich: Ausgewählte Stämme wurden sorgfältig zu Speeren und Wurfhölzern geformt, beschädigte Objekte wiederum repariert oder recycelt. Mit Hilfe von 3D-Mikroskopen konnten die Forschenden zudem feststellen, dass die frühen Menschen die Rinde von Ästen entfernten, Teile der Oberfläche abschliffen und das Holz trockneten, um Schäden zu vermeiden. Erstmals konnte für diese Zeit auch die Anwendung der Spalttechnik nachgewiesen werden.

Forscher sind sich einig: Werkzeuge stammen von den Vorfahren der Neandertaler

Die Holzgeräte wurden an einem Seeufer gefunden, wo sie zusammen mit Steinwerkzeugen und Tierknochen in etwa zehn Metern Tiefe begraben lagen. Nach Ansicht der Forscher stammen die Werkzeuge wahrscheinlich vom Homo erectus, aus dem sich in Europa der Neandertaler und parallel dazu, aber unabhängig davon, in Afrika der anatomisch moderne Mensch entwickelt hat. Die Werkzeuge deuten darauf hin, dass der Vorfahre des Neandertalers bereits über erstaunliche Kenntnisse in der Holzbearbeitung verfügte.

Auch interessant:Archäologie: Dieser Schädel stellt die Evolutionsgeschichte auf den Kopf