Berlin. Der Skandal um Wirecard erschütterte Deutschland. Nun zeigt sich: Vorstand Marsalek könnte als russischer Spion aktiv gewesen sein.
Eine neue Recherche könnte das Doppelleben von Jan Marsalek enttarnt haben: Der ehemalige Wirecard-Vorstand soll jahrelang als Spion für Russlands Geheimdienste tätig gewesen sein. ZDF, Spiegel, der österreichische Standard und die russische Investigativplattform „The Insider“ wollen außerdem herausgefunden haben, dass er nach seiner Flucht 2020 inzwischen die Identität eines Priesters in Russland angenommen hat und so unbemerkt reisen kann.
Denn ein Mann namens Konstantin Bajazow hält 375 Kilometer südöstlich von Moskau in der Stadt Lipezk beinahe täglich Gottesdienste ab – und sieht Jan Marsalek zum Verwechseln ähnlich. Das ZDF konnte mit dem orthodoxen Priester telefonieren, erhielt aber nur eine ablehnende Antwort: „Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie als Journalist begreifen müssen, dass wir nicht mit Ihnen reden können.“
Spionierte Jan Marsalek über Jahre für den russischen Geheimdienst?
Die neue Identität soll Marsalek über Geheimdienstverbindungen erhalten haben, die schon viele Jahre bestehen. So habe ihm laut der Recherchen seine russische Freundin Natalia Zlobina die Kontakte verschafft und im Jahr 2014 Stanislaw Petlinsky vorgestellt, der unter westlichen Agenten als verlängerter Arm diverser russischer Geheimdienste bekannt ist.
Über Petlinsky habe er der den Österreicher Anatoliy Karaziy kennengelernt, der bei der Söldner-Truppe Wagner als Geheimdienstchef aktiv ist. Im Frühling 2017 war Marsalek mit beiden gemeinsam aus München nach Syrien geflogen. Dort kämpften die Wagner-Truppen gemeinsam mit russischen und syrischen Soldaten gerade gegen Dschihadisten. Der Krieg soll Marsalek, der auf einem Bild gemeinsam mit Petlinsky in schusssicherer Weste und mit Sturmgewehr posiert, „fasziniert“ haben.
Österreichische Ermittler haben Marsalek als Spion im Visier
Spiegel-Reporter konnten Petlinsky in einem Luxushotel in Dubai sprechen. Ex-Wirecard-Manager Marsalek sei laut dem Russen „besessen von der Spionagewelt“ gewesen. Petlinsky bestätigte zudem die gemeinsame Syrien-Reise. Er will Marsalek auch regelmäßig in seinem Büro gegenüber dem russischen Generalkonsulat in München besucht haben, wo auch viele andere einflussreiche Menschen aus verschiedenen Bereichen ein und aus gegangen sein sollen.
Einer davon rief Sonderermittler des österreichischen Innenministeriums, weil er einst für den österreichischen Verfassungsschutz gearbeitet hatte. Später soll er als „Spion“ für Marsalek tätig gewesen sein. Im Bericht der Ermittler zur Spionagegruppe heißt es, deren Ziele seien „gezielte Aufklärung und Lokalisierung von Personen“, die „Beschaffung von Akten“, sowie die „gezielte Einflussnahme auf Regierungs- und Parteimitglieder im Sinne russischer Interessen“ gewesen.
Marsalek selbst ist weiterhin auf der Flucht
Die Recherchegruppe habe einen „umfangreichen Fragenkatalog“ an Marsaleks Anwalt geschickt, auf den dieser aber nicht reagiert habe. Die Spionagetätigkeiten seines Klienten sollen aber auch noch nach dessen Flucht weitergehen: 2023 wurden in London fünf Bulgaren verhaftet, die offenbar von Marsalek beauftragt wurden, Zielpersonen in ganz Europa auszuforschen und zu verfolgen. Der Prozess gegen sie wird wohl Ende des Jahres beginnen. Marsalek selbst ist weiterhin auf der Flucht.
Jan Marsalek ist Ex-manager des ehemaligen Dax-Unternehmens Wirecard. Der Zahlungsdienstleister ist inzwischen insolvent, nachdem 2020 ein milliardenschwerer Wirtschaftsbetrug des Unternehmens aufgedeckt wurde. Marsalek setzte sich daraufhin nach Russland ab. Noch immer läuft die weltweite Fahndung nach ihm.