Berlin. Der „Tagesthemen“-Moderator spricht über Meinungsdebatten, Gefahren in den sozialen Medien und die Schlagkräftigkeit seiner Frau.
Der „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni wagt ein neues, ehrgeiziges Diskussions-Format. In „Die 100 – Was Deutschland bewegt“ (nächste Folge am 29. November um 22 Uhr im WDR und NDR) können 100 Teilnehmer aus der Bevölkerung zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung beziehen. Im Interview erklärt der 49-Jährige auch, wie es mit dem Meinungsaustausch bei ihm in der Familie aussieht und welche Sorgen ihm dabei die sozialen Medien bereiten.
Wir erleben Zeiten, wo Meinungen und Weltanschauungen hart aufeinander prallen. Ist ein Diskussions-Format wie „Die 100“ ein Versuch, einen Ausgleich zu schaffen?
Ingo Zamperoni: In gewisser Weise schon. Die Idee ist, eine Debatte so zu führen, ohne dass der andere gleich an die Decke geht oder man sich gegenseitig als Gegner und Feinde sieht.
Sondern?
Zamperoni: Man kann der Gegenseite zeigen: Du musst dich von deiner Grundhaltung nicht ändern, aber du solltest es eben aushalten, eine konträre Ansicht präsentiert zu bekommen. Es geht hier nicht um Schwarzweiß, sondern wir zeigen, dass viele Grautöne dazu gehören.
Sie sind selbst deutsch-italienischer Herkunft und mit einer Amerikanerin verheiratet. Hat dieser multinationale Hintergrund Ihre Aufgeschlossenheit für andere Weltanschauungen gefördert?
Zamperoni: Dieser Background ist eine Horizonterweiterung. Ich habe schon als Kind gelernt, dass es etwas Positives ist, zwei verschiedene Kulturen zu haben. Ich sage immer: „Ich sitze nicht zwischen, sondern auf zwei Stühlen.“ Und das ist durch meine Erweiterung in die USA nochmals potenziert worden.
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Wie schauen Sie auf die USA?
Zamperoni: Beim Blick auf die USA haben wir immer die Vertrauensillusion, dass die Amerikaner so handeln müssten wie wir. Aber wenn sie etwas ganz anderes machen, etwa indem sie einen Donald Trump wählen, dann sind wir vor den Kopf gestoßen. Aber wir haben eben die Weisheit nicht für uns gepachtet.
Zamperonis Ehefrau: Diese Erfahrung machte sie in Deutschland
Was meinen Sie damit?
Zamperoni: Als meine Frau nach Deutschland gekommen ist, hat sie etwas augenzwinkernd einen Spruch gefunden, wenn immer jemand sie gemaßregelt hat – etwa, weil sie auf der falschen Straßenseite Fahrrad gefahren ist: „Whatever, Besserwissers.“ (‚Was soll’s, ihr Besserwisser.‘; Anm. d. R.)
Die Bereitschaft zum konstruktiven Diskutieren ist ja auch durch die Anonymität der sozialen Netzwerke beeinträchtigt worden. Würden Sie diese abschaffen, wenn Sie es könnten?
Zamperoni: Ich sehe die positiven Wirkungen, sei es bei sozialen Bewegungen wie der Maidan-Revolution in der oder weil ich mit Menschen Kontakt haben kann, die ich sonst aus den Augen verloren hätte. Was mir aber Sorgen bereitet sind diese Echokammern. Das heißt, wenn ich von den Algorithmen nur noch das zugefüttert bekomme, was meine Meinung bestätigt. Letztlich sollten wir die sozialen Netzwerke nicht abschalten, sondern den richtigen Umgang damit in den Schulen unterrichten.
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Soziale Netzwerke sind insbesondere für die jüngere Generation wichtig. Kann man die mit einem Format wie „Die 100“ erreichen?
Zamperoni: Wir dürfen die junge Generation nicht unterschätzen. Das Problem ist, wenn sie durch die eben genannten Algorithmen extremere Positionen vermittelt bekommen. Wenn man nur noch polarisierende Meinungen gewohnt ist, die nicht als Meinung gekennzeichnet sind, dann wirkt der klassische Journalismus möglicherweise altbacken oder mühsamer.
Zamperoni: Ängste vor Neuem hat es immer gegeben
Das beschäftigt Sie sehr?
Zamperoni: Ja, dieses Problem beschäftigt mich schon. Andererseits hatte die Generation meiner Großeltern Angst, dass Rock’n Roll die Generation meiner Eltern korrumpiert, und die wiederum hatte Angst, dass Fernsehen meine Generation korrumpiert. Ich wiederum fürchte, dass meine Kinder von Social Media korrumpiert werden könnten. Diese Büchse der Pandora ist auf, und diesen Geist werden wir nie wieder hineinkriegen. Jetzt geht es darum, zu gucken, wie schafft man das. Aber ich glaube, die nächste Generation hat das Zeug, das zu wuppen.
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Sie haben drei Kinder – einmal im Alter von zwölf und Zwillinge im Alter von 15. Wie sorgen Sie dafür, dass die das „gewuppt“ bekommen?
Zamperoni: Zum einen haben unsere Kinder eine Begrenzung in der Nutzung ihrer Smartphones. Wir sagen ihnen auch, dass sie die ab und zu weglegen. Bei bestimmten Themen wie jetzt dem Krieg im Nahen Osten fragen wir, ob sie Beiträge sehen, zu denen sie Fragen haben. Schon allein, weil ich Nachrichtenmann bin, versuche ich mit ihnen über bestimmte Entwicklungen zu sprechen. Aber ich sehe auch, wann der Punkt erreicht ist, wo keine Aufnahmefähigkeit mehr besteht. Und man muss ihnen auch das Gefühl vermitteln, dass man ihnen vertraut, und darf nicht zu sehr helikoptern.
Jüngst gab es den besorgniserregenden Trend, dass Jugendliche Osama bin Laden auf TikTok verklären. Was würden Sie tun, wenn so etwas im Hause Zamperoni passieren würde?
Zamperoni: Wenn ich mitbekäme, dass sie von extremistischen oder volksverhetzenden Inhalten beeinflusst werden, würde ich intensiv ins Gespräch gehen und versuchen, die Hintergründe aufzudecken, damit sie wissen, wo das herkommt.
Was ist dann besonders wichtig im Umgang mit den Kindern?
Zamperoni: Das Wichtigste ist, dass man im Gespräch bleibt. Solche Risiken gab es aber schon immer. Deshalb finde ich Sport so wichtig – auch für mich in jungen Jahren war das so. Kinder und Jugendliche brauchen einen Kanal, wo sie sich austoben können.
Ihnen steht ein großes Thanksgiving-Abendessen mit vielen internationalen Freunden und Familienmitgliedern unmittelbar bevor. Klammern Sie da politische Themen um der Harmonie willen aus?
Zamperoni: Auch wenn das eine debattierfreudige Gruppe ist, halten wir uns an den Geist von Thanksgiving. Und der heißt Gemeinschaft. Ich werde den Gästen keine politische Debatte an den Truthahn heften.