Berlin. Im Interview erzählt der 45-jährige Kelly von den Geschichten hinter seinen Songs. Zwei Schicksale haben den Sänger besonders berührt.

Mit der KellyFamily begann in den 1990ern die musikalische Karriere von Michael Patrick Kelly. Aber dass der 45-Jährige, der mit seinem aktuellen Album „B.O.A.T.S.“ derzeit durch Deutschland tourt, weiterhin erfolgreich ist, hat er verschiedensten einschneidenden Erfahrungen zu verdanken. Im Interview erzählt der gebürtige Ire, weshalb er sein Leben wie ein Wunder empfindet, wie seine Songs Leben retteten und warum sein sechsjähriger Klosteraufenthalt immer noch in ihm nachhallt.

In dem Song „Boats“ auf Ihrem neuen Album singen Sie auf Englisch „Komm, lass uns ein paar Dinge in Ordnung bringen“. Kann das die Musik?

Michael Patrick Kelly: Die Musik selber kann Situationen nicht ändern. Aber sie kann dich wachrütteln, erinnern und stärken, um Dinge anzugehen. Die Songs auf dem Album basieren alle auf Geschichten aus dem wahren Leben, die gut ausgehen. Der Albumtitel B.O.A.T.S. besteht ja aus den Initialen für „based on a true story“. In einer Zeit, wo man ständig mit schlechten Nachrichten konfrontiert wird, muss man daran erinnern, dass viele Menschen auch das Richtige tun. Der Song „Wonders“ zum Beispiel beruht auf einem Vorfall von 2019, als ein Football-Trainer in einer Schule in Oregon einen Amokläufer gestoppt hat, indem er ihn in den Arm genommen hat. Er hat den Jungen mit einem Zeichen der Liebe entwaffnet, nicht durch Gewalt. Ich habe diesen Mann kontaktiert, und die Texte unseres Gesprächs lieferten die Vorlage für dieses Lied.

Michael Patrick Kelly: Seine Songs retteten Fans das Leben

Haben Sie selbst schon mal Dinge in Ordnung gebracht?

Kelly: Davon erzähle ich in dem Song „Mother’s Day“. Meine Mutter war gestorben, als ich fünf war – damals lebten wir im Baskenland. Sieben, acht Monate später wollte ich zum Muttertag Blumen zu ihrem Grab bringen, und als ich gesehen habe, dass auf den anderen Gräbern so schöne Sträuße waren, habe ich von dort alle Blumen geklaut und sie auf das Grab meiner Mutter gelegt. Das hat mein Gewissen nie mehr so richtig losgelassen. Viele Jahre später bin ich dann mit einem Wagen voller Blumensträuße dorthin gefahren und habe alle Gräber mit frischen Sträußen bestückt. Manche der Leute dort haben vor Rührung geweint.

Die meisten Songs von Michael Patrick Kelly basieren auf wahren Erlebnissen oder Geschichten. Darin verarbeitet er Schicksalsschläge, wie den Amoklauf an einer Schule in Oregon (USA).
Die meisten Songs von Michael Patrick Kelly basieren auf wahren Erlebnissen oder Geschichten. Darin verarbeitet er Schicksalsschläge, wie den Amoklauf an einer Schule in Oregon (USA). © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Was ist die stärkste Wirkung, die Ihre Songs bei Ihren Fans hinterlassen haben?

Kelly: Ich habe von zwei Fällen erfahren, wo Lieder von mir offenbar Menschen vom Selbstmord abgehalten haben. Einmal stand eine junge Frau kurz davor, sich die Adern aufzuschneiden, aber dann hat sie meinen Song „Hope“ gehört. Im anderen Fall wollte ein Mann von einem Gebäude in den Tod springen, aber die Leute von der Feuerwehr wussten, dass er einen Song von mir mochte. Den haben sie in voller Lautstärke abgespielt, bis dieser Mann zusammengebrochen ist und sich helfen ließ.

Haben Sie selbst schon ein Wunder erlebt?

Kelly: In gewissem Sinne ist mein Leben wie ein Wunder – oder wie Leute oft sagen, wie ein Film. Deshalb werde ich immer wieder gefragt, ob ich meine Autobiografie schreiben möchte, aber mit 45 ist mir das zu früh. Ich bin jedenfalls extrem dankbar, dass mir meine Eltern so ein alternatives Leben geschenkt haben. Wir sind mit dem Doppeldeckerbus durch die Welt gereist, haben sieben Jahre auf einem Hausboot gelebt. Ich habe so viele Länder und Kulturen kennengelernt, und musste nicht zur Schule, weil mein Vater Lehrer und ein Anhänger des Homeschoolings war. Musik habe ich quasi mit der Muttermilch aufgesaugt. Ich bin aus richtig dunklen Tälern, in denen ich dachte, jetzt sei alles vorbei, wieder voll zurück ins Leben gestellt worden. Das ist schon alles total krass. Aber ich staune generell viel und gerne, auch über kleine Dinge. Zum Beispiel, wenn ich in den Bergen wandern gehe und die Murmeltiere oder ganz seltene Blumenarten sehe, die es nur auf 2000 bis 3000 Meter Höhe gibt.

Friedensglocke aus Panzerteilen: Schweigeminute im Konzert

Um zu sich selbst zu finden, ging Michael Patrick Kelly sechs Jahre lang ins Kloster nach Frankreich. Danach widmete er sich wieder der Musik. Bei jedem seiner Konzerte gedenkt er den Opfern von Kriegen oder anderen Schicksalsschlägen.
Um zu sich selbst zu finden, ging Michael Patrick Kelly sechs Jahre lang ins Kloster nach Frankreich. Danach widmete er sich wieder der Musik. Bei jedem seiner Konzerte gedenkt er den Opfern von Kriegen oder anderen Schicksalsschlägen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ein besonderer Einschnitt war auch die Zeit, als Sie sechs Jahre im Kloster verbrachten.

Kelly: Jeder Mensch sucht nach einem Verständnis von sich selbst und der Welt. Ich habe die Zeit im Kloster gebraucht, um bei mir anzukommen und mit meinem Leben im Reinen zu sein. Vorher hatte ich die Schnauze von dem ganzen Showbusiness voll und leider auch die Leidenschaft für Musik beinahe verloren. Die Stille des Klosters tat gut. Andererseits hat meine Gesundheit diesen radikalen Lebensstil irgendwann nicht mehr mitgemacht. Sinnigerweise haben die Mönche mir damals empfohlen, die Gitarre, die da lag, zu nehmen und gelegentlich Musik zu machen. So habe ich wieder angefangen, Songs zu schreiben, zweckfrei, nur für mich selbst. Jetzt singe ich aus Dank am Ende aller Konzerte den ersten Song, den ich damals im Klosterkeller geschrieben habe. Denn ohne diese Erfahrung würde ich heute nicht auf der Bühne stehen.

Welche Momente in Ihren eigenen Konzerten berühren Sie eigentlich am meisten?

Kelly: Viele, und sie sind nicht vorhersehbar. Jeder Abend hat eine eigene Dynamik. Aber was wir bei jedem Konzert einbauen, ist eine Schweigeminute für den Frieden – das ist für mich ein krasser Gänsehautmoment. Diese Minute wird mit der ‚PeaceBell‘ eingeläutet, einer Friedensglocke, die aus Kriegsschrott gegossen wurde. Dafür wurden Granathülsen und Panzerstücke eingeschmolzen, auch aus der Ukraine. Der Klöppel der ‚PeaceBell‘ ist ein G3-Gewehr. Es ist jedes Mal so bewegend, wenn tausende Menschen mitten in einem Pop-Rock-Konzert zusammen schweigen. Man sieht immer wieder, wie Menschen loslassen und weinen, oder sich festhalten. Und danach geht es mit der Party weiter. Die Konzerte sind wirklich die schönsten Momente in meinem Beruf.