Berlin. Erstmals spricht der deutsche Arzt, der dem Dänen Christian Eriksen das Leben rettete. Das waren Eriksens erste Worte nach dem Kollaps.
- Der dänische Nationalspieler Christian Eriksen brach beim EM-Spiel Dänemark gegen Finnland auf dem Spielfeld zusammen
- Der 29-Jährige musste noch auf dem Feld wiederbelebt werden, er hatte einen Herzstillstand erlitten
- Der deutsche Notfallspezialist Dr. Jens Kleinefeld holte Eriksen zurück ins Leben. Wir haben mit ihm gesprochen
Es war ein Schock für das Millionenpublikum am TV und die Menschen im Stadion: Das Herz-Drama um den dänischen Nationalspieler Christian Eriksen. Der deutsche Notfallspezialist Dr. Jens Kleinefeld holte den 29-Jährigen zurück ins Leben. Am Telefon stellte er sich in Kopenhagen unseren Fragen.
Herr Dr. Kleinefeld, wie kam es zu Ihrem Einsatz bei dem kollabierten dänischen Nationalspieler?
Jens Kleinefeld: Ich bin von der Uefa offiziell eingesetzter Doping Control Officer für die Spiele und habe zusätzlich die Aufgabe, zu überprüfen, ob alle Notfallmedikamente und Defibrillatoren vorhanden und einsatzbereit sind. In dieser Funktion war ich im Stadion.
Wie haben Sie den Moment von Eriksens Kollaps erlebt?
Kleinefeld: Ich habe es von der Tribüne aus gesehen. Leider saß ich auf einem Platz, der weit entfernt vom Geschehen war. Ich konnte in dem Moment nicht erkennen, ob ein Foul oder ein Kollaps Grund für den Zusammenbruch war. Ich habe dann beobachtet, wie sich das medizinische Sideline-Team sofort – so wie ich es immer schule – mit dem Notfallequipment, bestehend aus Notfallrucksack und Defibrillator, genau in dem Moment am Spielfeldrand positionierte, in dem der Mannschaftsarzt das Spielfeld betrat. Als der Mannschaftsarzt hektisch wurde, habe ich das Team per Handzeichen zusätzlich auf den Rasen geschickt. In dem Augenblick war mir auch klar: Da muss ich hin.
Welche Situation fanden Sie vor?
Kleinefeld: Als ich ankam, hatten die Kollegen schon sehr gut gearbeitet. Ein erfahrener Ersthelfer hatte mit der Herzdruckmassage begonnen und der Defibrillator lag bereit. Die Elektroden-Pads waren schon aufgeklebt. Ich habe die Leitung der Wiederbelebung bei Eriksen dann übernommen, da ich als Notarzt viel Erfahrung in solchen Situationen habe. Der Defibrillator hatte bereits die 30-sekündige Analyse durchgespielt und einen Schock – auf Dänisch – empfohlen, woraufhin dieser verabreicht wurde. Daraufhin fuhren wir mit der Herzdruckmassage fort. Nach zwei Minuten erfolgte eine erneute Rhythmusanalyse. Auf dem Monitor konnte ich bereits im EKG einen Sinusrhythmus erkennen – es schlug wieder. Da habe ich zu den Helfern gesagt, dass sie mit der Herzdruckmassage aufhören können.
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Wie ging es weiter?
Kleinefeld: Etwa 30 Sekunden später hat der Spieler die Augen geöffnet und ich konnte direkt mit ihm sprechen. Das war ein sehr bewegender Moment, weil bei solchen medizinischen Notfällen im Alltag die Erfolgsaussichten doch deutlich geringer sind. Eriksen sah mich an und ich fragte ihn: "Na, bist du wieder bei uns?" Und er antwortete: "Ja, ich bin wieder bei euch." Und: "Verdammt, ich bin doch nur 29 Jahre alt." Da wusste ich, das Gehirn ist nicht geschädigt und er ist vollständig wiederhergestellt. Noch während der Reanimation hatte ich einen Zugang legen lassen, über den Medikamente verabreicht werden können.
Was hat Eriksen bekommen?
Kleinefeld: Im Fall von Herzkammerflimmern gibt man das Medikament Amiodaron, das ist ein Antiarrhythmikum. Wenn das Herz nicht gearbeitet hätte, wäre noch Adrenalin zum Einsatz gekommen. Das war zum Glück nicht nötig.
Für die Millionen Zuschauer im Stadion und an den Fernsehern hat das alles quälend lange gedauert.
Kleinefeld: Mag sein, für mich selbst hat sich das gar nicht lange angefühlt. Ich habe ihm gesagt: Falte deine Hände, lege deine Hände auf die Brust, und er hat alles verstanden und ausführen können. Dann haben wir weitere Überwachungsmaßnahmen angeschlossen und den sicheren Abtransport durch die Ambulanz vorbereitet. Wir haben die Blutdruckmanschette angelegt und den Sensor für die Sauerstoff-Blutsättigung. Zusätzlich wurde ein Zwölf-Kanal-EKG angeschlossen, um seinen Zustand optimal überwachen zu können. Erst dann konnte er auf dem sogenannten Stryker abtransportiert werden.
Wie groß war die Gefahr, dass sein Herz erneut aussetzt?
Kleinefeld: Bei einem medizinisch durchgecheckten Profisportler handelt es sich meistens um eine Art „Kurzschluss", der das Kammerflimmern auslöst. Der Elektroschock gibt dann den entscheidenden Impuls, dass das Herz wieder schlägt. Bei so jemandem ist – anders als bei normalen Patienten, etwa mit Vorerkrankungen – die Wahrscheinlichkeit minimal, dass das Herz erneut stehen bleibt. Ich war mir noch im Stadion zu 99 Prozent sicher, dass er stabil im Krankenhaus ankommt und dort auch stabil bleibt.
Haben die Spieler mitbekommen, dass es für Eriksen so gut ausging?
Kleinefeld: Das weiß ich nicht, ich war selbst wie im Tunnel und habe mich nur auf den Spieler konzentriert. Das Drumherum habe ich komplett ausgeblendet. Das Ganze hätte für mich auch in einem Wohnzimmer stattfinden können, ich habe meine Umgebung in diesen Minuten nicht wahrgenommen. Aber ich glaube nicht, dass die umstehenden Spieler das mitbekommen haben.
Wie wurde die Turnierleitung dann informiert?
Kleinefeld: Ich bin nach dem Abtransport von Christian Eriksen ins Krankenhaus zum Krisenstab dazugestoßen und habe die gute Nachricht überbracht. Nach weiteren Kontakten mit der Klinik war klar, dass alle Untersuchungen gut verlaufen sind. Eriksen konnte dann schon mit Kameraden telefonieren.
Wie kann ein kerngesunder Spieler plötzlich mit Herzstillstand umkippen?
Kleinefeld: Es gibt leider viele Fälle, wie der des Ungarn Miklos Feher, der im Meisterschaftsspiel verstarb. Wir Ärzte wissen immer noch nicht genau, wie es dazu kommt. Im normalen Leben liegt es meist an koronaren Vorerkrankungen. Bei einem medizinisch überwachten Spieler ist das völlig anders. Er hatte kein Corona, keinen Infekt und auch keine Impfung. Das konnten wir alles als Ursache ausschließen.
Wie verhalte ich mich als Laie korrekt im Falle eines plötzlichen Herzstillstandes?
Kleinefeld: Zuerst um Hilfe rufen, Notarzt oder Feuerwehr. Und dann sofort mit der Herzdruckmassage beginnen. Man muss unbedingt mit dem Reanimieren anfangen, auch wenn es vielleicht am Ende nicht notwendig war. Und nicht dieses Märchen von der verschluckten Zunge glauben, das ist der größte Unsinn. Die Atemwege werden durch leichtes Überstrecken des Kopfes nach hinten binnen Sekunden frei. Die Herzdruckmassage ist wichtig und mit der bringt man auch niemanden um. Die Scheu davor, einzugreifen oder einen der öffentlichen Defibrillatoren zu benutzen, ist gefährlich. Nichts zu tun, ist das Schlimmste, was man machen kann. Das erleben wir im Alltag leider ständig.
Und auf dem Platz?
Kleinefeld: Auf dem Profifußballplatz ist der beobachtete Herz-Kreislauf-Stillstand immer ein Rhythmusereignis und kein Herzinfarkt. Jeder Kollaps ohne Körperkontakt gilt als ein plötzlicher Herztod bis zum Beweis des Gegenteils. Da braucht es sofort Herzmassage und Defibrillator. Das ist genau das, was ich bei den Teams seit Jahren schule. Glücklicherweise hatte ich zwei Stunden vor dem Spiel dieses Szenario nochmals mit dem Sideline-
Team durchgesprochen und geübt. Wünschenswert wäre es, dass auch die medizinischen Abteilungen aller Profivereine eine derartige Schulung erhalten, da sie die Ersten sind, die mit dieser Situation konfrontiert werden. Das schnelle Erkennen und unmittelbare Handeln rettet Leben. Das Schulen und Ausbilden aller Helfer ist das Wichtigste überhaupt. Das hat Eriksen das Leben gerettet.
Zur Person Dr. Jens Kleinefeld:
Der Notfallmediziner und Anästhesie-Spezialist Dr. Jens Kleinefeld berät und schult seit Jahren medizinische Teams im Profi-Fußball. Er ist als Doping Control Officer (DCO) und Medical Officer für nationale und internationale Sportverbände aktiv. Die letzte Schulung für die medizinischen Teams gab er zwei Stunden vor dem Spiel Dänemark gegen Finnland. Kleinefeld ist 57 Jahre alt und lebt in Köln.