Berlin. Salomé Balthus schläft beruflich mit Männern und Frauen. Sie erzählt, warum jemand 1000 Euro für zwei Stunden Sex mit ihr ausgibt.
Salomé Balthus kommt eine dreiviertel Stunde nach dem verabredeten Termin in das Café in Berlin Kreuzberg. Ihre Haare sind noch feucht vom Duschen, ihre in Eile getuschten Wimpern haben kleine Punkte auf ihre Augenlider getupft. Die vergangene Nacht war lang.
„Nein, kein Kunde“, sagt sie lächelnd, bestellt Milchkaffee und kommt dem Spiel der Gedanken zuvor. Ihre Kunden, das sind Wohlhabende, meist Männer, manchmal Frauen oder Paare. Sie bezahlen Hanna Lakomy, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, für Sex in Luxushotels. Für die Erfüllung ihrer Fantasien.
Doch die Menschen, die Salomé Balthus für Sex bezahlen – tausend Euro für zwei Stunden, zweitausend für acht, die ganze Nacht für dreitausend Euro – zahlen auch für Gespräche. Bei einem Date, sie sagt „Stelldichein“, von vier Stunden mache der Sex vielleicht eine Stunde aus, bei sechs Stunden vielleicht anderthalb. „Das Entscheidende ist das Reden. Jemanden in eine Stimmung zu versetzen und sich selbst dabei gleich mit“, sagt Salomé. „Man redet die ganze Zeit, auch währenddessen.“
Escort-Frau: Zum ersten Mal Worte für das, was sie erregt
Die Kunden buchen ein „Stelldichein“ mit Salomé oder einer der anderen Frauen über die Agentur „Hetaera“. Hanna Lakomy führt die Agentur, führt auch vorab die Gespräche mit den Frauen, die dort ihre Escort-Dienste anbieten wollen. Auch da kommt es auf das Talent zum guten Gespräch an, sagt sie.
Ist die Frau langweilig, wortkarg? Oder ist sie ein sprudelndes Wesen voller Ideen, voller Fantasien und assoziativer Gedanken? Die Frauen sollen ihre Kunden einladen, zu erzählen. Manche lassen sich darauf ein, sagt Salomé, andere trauen sich nicht. „Sie sind höflich und wollen einen nicht mit ihren Fantasien überfallen.“ Oft finden ihre Kunden zum allerersten Mal Worte für das, was sie sexuell erregt.
Sex mit außerirdischen Wesen
Grenzen gibt es bei diesem Spiel mit der Fantasie keine, sagt Salomé. Darin können Gewalt und Unterwerfung eine Rolle spielen, auch Sex mit außerirdischen Wesen. „In der Wirklichkeit möchte natürlich niemand von einem Alien auf diese Weise berührt werden“, sagt Salomé. „Aber warum erregt es uns verdammt noch mal so sehr? Warum guckt man sich das in Filmen an und hat deutliche Symptome körperlicher Erregung?“
Sie selbst bezeichnet sich als polymorph pervers. Es ist nicht ein bestimmter Fetisch, der sie erregt, wie etwa das Tragen von Nylonstrümpfen. Eine gute Voraussetzung, um sich auf die sexuellen Gedankenwelten ihrer Kundinnen und Kunden einzulassen.
Er wählte Salomé, weil sie seiner Nachhilfelehrerin ähnelte
Wie dieser Schweizer, von dem sie erzählt. Er buchte ein Treffen mit ihr, um eine Fantasie zu leben, die ihn schon fast sein ganzes Leben begleitete. Der Mann, wortkarg, seriös, um die 60, hatte die zierliche, mädchenhafte Salomé ausgewählt, weil sie ihn an seine Nachhilfelehrerin erinnerte, die ihn als Elfjährigen unterrichtet hatte und nach der er sich immer gesehnt hatte.
Über die Jahre immer wieder stellte er sich ihre Bluse vor, den dünnen Stoff, unter dem sich die Form ihrer Brüste abgezeichnet hatte. Salomé Balthus schlüpfte also in die Rolle der Lehrerin. „Es war einfach zauberhaft, diesem Menschen seinen Wunsch zu erfüllen“, sagt sie. „Man lebt doch nur einmal und der Sex ist so eine schöne und wichtige Sache unserer Existenz.“
Aber die Gespräche verändern sich im Laufe eines Abends, weiß Salomé. Es gibt das Vorher und das Nachher. Es gibt das lustvolle Spiel mit den Gedanken und das Erwachen aus der Trance nach dem Orgasmus. „Gerade nach dem Sex kommt bei vielen so etwas wie Verwunderung, Scham, manchmal auch Entsetzen darüber, was sie kurz zuvor noch erregt hat.“
Noch mehr Liebe und Beziehung:
- Affäre in der Ehe: Warum die Geliebte fast immer verliert
- Loriot-Syndrom: Warum viele Frauen ihre Partner immer mehr bemuttern
- Online-Dating: So will Pickable das Online-Datinge revolutionieren
Die Scham der Frauen ist oft größer als die der Männer
Umso wichtiger sei es dann, die Menschen aufzufangen, wenn sie wieder in ihrer bürgerlichen bewussten menschlichen Existenz ankommen. Wenn dieses andere Gesicht, dieses Nachtgesicht von ihnen weiche. „Deswegen ist es glaube ich für viele Männer sehr enttäuschend, wenn sie Sex in Bordellen haben oder auf dem Straßenstrich, wo sie gleich danach wieder gehen.“
Besonders bei weiblichen Kunden sei dieses Auffangen wichtig. Denn die Scham der Frau sei oft größer als die des Mannes. Viele Frauen, sagt Salomé, erregten sich zum Beispiel bei sexuellen Gewaltfantasien, die sie aber gleichzeitig ängstigten, weil sie sich fragten: Wo kommen diese Gedanken her?
Das Wie-war-ich treibt die Männer um
„Dabei ist Fantasie und Realität buchstäblich ein Unterschied wie Tag und Nacht.“ Keine Frau wolle diese Gewalt wirklich erleben. Nach dem Sex reden sie dann über die Akzeptanz der eigenen Fantasien und wie tief der Mensch sein kann. „Meine Kunden sind glücklich, wenn sie merken, zwischen sich und ihren Wünschen liegt kein unüberwindbarer Abgrund.“
Die Klischeefrage im Übrigen, die Frage nach der eigenen Performance beim Sex, das Wie-war-ich, treibe besonders Männer doch um. „Sie fragen nicht direkt, aber sie wollen es wissen“, sagt Salomé über das Interesse an ihrer Agentur „Hetaera“, „denn sie wissen es wirklich nicht.“