Wuppertal. Schicksalsschläge wie Jobverlust oder Krankheit können Menschen so aus der Bahn werfen, dass sie auf der Straße landen. Ein Betroffener erzählt.

Ralf D.* sieht man seine Misere auf den ersten Blick nicht an: Er hat seine grauen Haare ordentlich zurück gekämmt, trägt einen beigefarbenen Mantel und riecht nach Seife – nur seine traurigen Augen lassen darauf schließen, dass der 62-Jährige seit Kurzem wohnungslos ist.

Der Wuppertaler möchte seinen richtigen Namen lieber nicht nennen. Zu unangenehm ist für ihn immer noch die Situation, in die er hineingeraten ist: 32 Jahre war er als Betriebselektriker in einer Wuppertaler Firma tätig, erzählt er, bevor „das Schicksal seinen Lauf nahm“.

Im Jahr 2013 erkrankt er schwer, die Diagnose: eine beschädigte Halswirbelsäule, er muss operiert werden. Fast anderthalb Jahre ist er krank, bekommt einen Behindertenausweis, kann ab da nur noch maximal vier bis fünf Stunden am Tag arbeiten. „Ich war in meinem Beruf nicht mehr voll einsatzbar, da hat die Firma mir nahe gelegt zu kündigen“, so Ralf.

Rückzug von Familien und Freunden

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Er kommt der Aufforderung nach, so dass er noch eine Abfindung bekommt. Doch ab diesem Zeitpunkt läuft es nicht mehr: Die Beziehung zu seiner Freundin zerbricht, er zieht sich auch von Freunden und Familie zurück. Ralf will mit sich alleine sein, „auch aus Scham“, wie er sagt.

„Wahrscheinlich ist mit der Krankheit bei mir schon seelisch etwas zerbrochen und mit der Kündigung, gab es den nächsten Schub. Als ich dann in die Mühlen zwischen Arbeitsamt, Kranken- und Rentenversicherung geraten bin, war mir alles egal. Ich hab mich um nichts mehr gekümmert“, erzählt er.

Rechnungen werden nicht mehr bezahlt

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So schafft es Ralf es auch nicht mehr, sich mit der Krankenkasse auseinander zu setzen. Diese stuft ihn daher in die höchste Ermessenstufe mit einem Beitrag von 700 Euro im Monat ein. Rechnungen flattern ins Haus, werden nicht bezahlt. Drei Jahre läuft das so – bis im März 2018 schließlich nichts mehr geht.

Die Abfindung ist nun aufgebraucht, er hat Schulden in Höhe von 40.000 Euro angehäuft, kann nichts mehr bezahlen. „Wenn man einmal im Loch drin ist, ist es schwer da wieder rauszukommen“, sagt Ralf heute. Anfang Oktober steht dann der Gerichtsvollzieher vor der Tür: Sein Konto wird gepfändet und die Wohnung gekündigt, berichtet er weiter.

Zu fein fürs Betteln

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Kurz kommt Ralf noch bei seiner Tochter unter, doch dort wohnt auch seine Ex-Frau. Fünf Tage geht es zwischen den dem ehemaligen Paar gut, dann steht er auf der Straße. Der 62-Jährige hat keine Cent mehr in der Tasche, muss sich von der Tafel ernähren. Betteln oder ähnliches kommt für ihn aber trotzdem nicht in Frage: „Ich war wahrscheinlich noch zu fein dafür“, sagt der Wuppertaler.

Tagsüber wandert der Obdachlose rastlos umher, nachts sucht er sich einen Platz in Parkhäusern oder auf den Lüftungsgittern von Geschäften: „Richtig geschlafen habe ich nicht, das war mehr so ein dösen und aufwärmen.“ Aber die Vorstellung, in einer Notschlafstelle mit sechszehn fremden Männern zusammen in einem Raum zu übernachten, schreckt ihn ab.

Hoffnung auf eine eigene Wohnung

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Die Erfahrung, kein Dach über dem Kopf zu haben, trifft Ralf hart. Er will schnell weg von der Straße, vor allem in Hinblick auf den kommenden Winter. Daher sucht er sich Hilfe in einer sozialen Einrichtung. Dort beraten sie ihn, füllen zusammen Anträge aus. Diese Maßnahmen helfen: Inzwischen ist er in einer Wohngruppe mit eigenem Zimmer untergekommen.

Auch nach mehreren Wochen ohne Geld, ist für Ralf auch wieder die die erste gesetzliche Unterstützung geflossen. Nächstes Jahr soll es dann auch endlich die lang ersehnte Rente geben: „Es wird schwierig für mich unter den Bedingungen Arbeit zu finden und ich bin ja auch fast 63 und habe 35 Jahre gearbeitet“, sagt er.

Das große Ziel sei dann langfristig auch wieder in eine eigene Wohnung zu ziehen, „sobald die Leistung rollt“, wie er sagt. Der 62-Jährige hat sich außerdem vorgenommen das Erlebte noch einmal aufzuarbeiten. Auch das Verhältnis zur Tochter, das zuletzt sehr gelitten hat, soll in Zukunft wieder besser werden: „Ich hoffe, dass jetzt wieder alles bergauf geht und dass ich frühzeitig wach geworden bin.“

*Anmerkung: Name wurde von der Redaktion geändert