Brüssel. Der Belgier Rom Houben galt 23 Jahre als Wachkoma-Patient, obwohl er noch bei vollem Bewusstsein war. Eine Forschergruppe aus Lüttich hat den Fall untersucht, darunter die Neuropsychologin Audrey Vanhaudenhuyse. Im Interview erklärt sie, warum es zu dieser spektakulären Fehldiagnose kam.

Drei Jahre untersuchte das Team der Koma-Forschungsgruppe in Lüttich den Fall des Belgiers Rom Houben. Ärzte hatten den ehemaligen Ingenieur-Studenten und Kampfsportler nach einem Unfall als Wachkoma-Patient eingeordnet. Doch Untersuchungen brachten 2006 ans Licht, dass das Großhirn weitgehend unversehrt war – Houben war bei vollem Bewusstsein. Die Neuropsychologin Audrey Vanhaudenhuyse ist Mitglied des Forscher-Teams. Mit der Expertin sprach Dan Alexe.

Frau Vanhaudenhuyse, wie können sich Ärzte so irren – hätte Rom Houben nicht viel eher aus seinem Gefängnis befreit werden müssen?

Vanhaudenhuyse: Vor mehr als 20 Jahren, als Rom Houben verunglückte, gab es noch gar nicht die technischen Möglichkeiten, um solche präzisen Diagnosen zu stellen. Die Eltern waren zwar überzeugt, dass ihr Sohn etwas mitbekommt, dass er bei Bewusstsein ist. Sie hatten aber keine Möglichkeit, das zu beweisen. Sobald sie von neuen Untersuchungsmethoden hörten, kamen sie auf uns zu – und so wurde Rom viele Jahre nach seinem Unfall erlöst.

Wie sind die Aussichten, dass sich Rom Houbens Zustand bessern wird?

Vanhaudenhuyse: Wir können keine genauen Prognosen stellen. Er wird sicherlich niemals wieder gehen können, aber das erwartet er auch gar nicht. Für uns ist es schon ein großer Fortschritt, wenn er seinen kleinen Finger bewegen kann. Er hat keine Erinnerungslücken, sein Gehirn funktioniert weitgehend normal. Darauf können wir aufbauen.

"Er war ohne Hoffnung und voller Wut"

Was geht in einem Menschen vor, der in seinem eigenen Körper gefangen ist – der von allen abgeschrieben wird, aber bei vollem Bewusstsein ist?

Vanhaudenhuyse: Sie müssen sich vorstellen, Sie liegen im Bett. Sie wollen sprechen und sich bewegen, können es aber nicht. Sie können noch nicht einmal ihre Augen bewegen – aber in ihrem Kopf ist alles Ok. Es war sehr schwer für ihn, er war ohne Hoffnung und voller Wut.

Ihr Team hat den Fall schon vor drei Jahren entdeckt. Warum ist er erst jetzt bekannt geworden?

Vanhaudenhuyse: Es war Zufall. Wir haben vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass in mehr als 40 Prozent der Fälle die Diagnose Wachkoma irrtümlich erteilt wird. Ein deutsches Magazin hat die Ergebnisse der Untersuchung veröffentlicht und ist auf den Fall Rom Houben gestoßen. So kam alles ins Rollen.