Essen. Die Top-Stars des Wrestling duellieren sich am Sonntag in Orlando. Wir sprachen mit Profi-Coach Walter Hahn über Mythen und Vorurteile.
- Millionen weltweit schauen in der Nacht auf Montag bei Wrestlemania zu
- Die Verletzungsgefahr ist real und nicht immer geschauspielert
- Für den ersten Kampf benötigt man in der Regel mehrere Jahre Training
Knapp 75.000 Zuschauer im Stadion, Millionen weltweit vor den Bildschirmen: Die gigantische Wrestling-Veranstaltung „Wrestlemania“ fesselt seit über drei Jahrzehnten Jung und Alt. Im Camping World Stadium in Orlando, Florida, laufen bereits seit Wochen die Aufbauarbeiten für eine riesige Rampenkonstruktion, auf welcher die Stars der größten Wrestling-Promotion WWE in der Nacht zum Montag zum Ring laufen werden.
Es droht das Karriereende zweier Legenden
Langjährige Anhänger müssen in diesem Jahr den Abgang zweier Legenden befürchten. Gerüchten zufolge werden die Altstars Bill Goldberg und Mark William Calaway, den meisten wohl eher unter seinem Künstlernamen „Undertaker“ bekannt, ihr letztes Wrestlemania-Match, womöglich sogar ihren letzten öffentlichen Wrestling-Auftritt überhaupt bestreiten.
Was die einen begeistert, quittieren andere nur mit Kopfschütteln. Die Anzahl der Vorurteile, mit denen sich die Akteure im Ring und ihre Fans konfrontiert fühlen, ist hoch. Da die Ergebnisse der Kämpfe vorab von speziellen Schreibern festgelegt werden, verweigern viele Außenstehende dem Wrestling die Anerkennung als „Sportart“. Oder halten das Geschehen zwischen den Seilen für eine schauspielerische Höchstleistung, bei der sich die Protagonisten „ja ohnehin nicht wehtun“.
Vorwürfe, über die Walter Hahn, seines Zeichens Cheftrainer bei der WxW Wrestling Academy in Essen-Katernberg, nur schmunzeln kann: „Auf solche Aussagen reagiere ich recht gelassen. Der Mensch ist ja gut darin, über Dinge zu urteilen, mit denen er sich vorher nicht auseinandergesetzt hat. Es ist genauso, als wenn man sagt, dass Fußball nur ein Spiel von 22 Idioten ist, die einem Ball hinterherlaufen. Komischerweise sind es häufig genau dieselben Leute, die von Sylvester Stallone-Filmen immer so begeistert sind.“
Eine Kombination aus Unterhaltung und Vollkontakt
Doch wie definiert Hahn, der im Jahre 2005 in der österreichischen Heimat mit dem Wrestling begann, seine Leidenschaft? „Das, was wir machen, ist Unterhaltungssport und Vollkontaktsport in einem. Jedes Körperteil ist involviert, es werden viel mehr Muskeln beansprucht als in den meisten anderen Sportarten.“
Hinzu kommen eine Menge an Konzentration und viel Training mit Kampfpartnern, um die Verletzungsgefahr möglichst gering zu halten. Was bei spektakulär aussehenden Tritten, Schlägen, Sprüngen und Griffen durchaus anspruchsvoll ist. Erst Anfang März zog sich der japanische Star Tomoaki Honda im Rahmen eines Matches für die renommierte Promotion „New Japan Pro Wrestling“ bei einer missglückten Aktion zwischen den Ringseilen einen Halswirbelbruch zu.
Zum Glück sind derartige Vorfälle mehr Ausnahme denn Regel. „Die Verletzungsgefahr ist so hoch wie bei jeder anderen Sportart. Wir lernen schließlich die Techniken, damit wir uns nicht verletzen“, beteuert der WxW-Coach, der in seiner über elfjährigen Karriere noch nie eine schwerwiegende Blessur davongetragen hat.
Der Mythos, dass die Reihenfolge der im Ring gezeigten Attacken vorher wie eine Choreographie abgesprochen wird, hält sich ebenfalls hartnäckig. Hahn verneint: „Choreographie bedeutet, dass drei Leute gleichzeitig die gleiche Bewegung machen, da funktioniert es in unserer Branche schon anders.“ Wie viele der Aktionen vorher untereinander abgestimmt werden, kommt darauf an, wie vertraut die Kämpfer miteinander sind. „Ich würde tippen, dass Wrestler durchschnittlich nur 20 bis 30 Prozent ihrer Moves vorher vereinbaren“, erklärt der Wiener.
Frauen und Leichtgewichte geraten immer stärker in den Fokus
Fernsehzuschauer, die in den späten 90ern zufällig in die Übertragungen auf RTL 2 oder DSF reinzappten, dürften Wrestling in erster Linie mit aufgepumpten maskulinen Kraftprotzen in Verbindung bringen. Diesbezüglich hat sich seitdem viel getan. Frauen dürfen sich in den wöchentlichen Shows in zunehmend langen Matches präsentieren, vor allem die WWE-Stars Sasha Banks und Bayley brauchen sich in Sachen Merchandise-Verkäufen und Fan-Beliebtheit nicht mehr vor ihren männlichen Kollegen verstecken.
Auch spargeldünne Techniker mit weniger als 90 Kilo Lebendgewicht nehmen heutzutage in zahlreichen Promotionen große Rollen ein und sorgen unter anderem mit artistischen Flugeinlagen für euphorische Reaktionen im Publikum. „Ganz klar: Der Sport ist in den letzten Jahren viel athletischer geworden. Steroide wird es zwar immer geben, aber dies hat sich zuletzt reguliert“, bestätigt Hahn.
Bis zum ersten Kampf müssen sich Anfänger lange gedulden
Wer selber Lust verspürt, seinen Idolen nachzueifern, muss neben einem gesunden und kräftigen Körper viel Geduld mitbringen. „Wenn du im Training richtig Gas gibst und ein Jahr lang vier bis sechs Stunden pro Woche plus Krafttraining absolvierst, könntest du für deinen ersten richtigen Kampf bereit sein“, konstatiert Walter Hahn.
Sein Fazit: "Wrestling ist keine aufwändig inszenierte Artistikshow, sondern Hochleistungssport." Wer im Ring mithalten will, braucht neben einem austrainierten Körper vor allem Fleiß, Selbstdisziplin, Konzentration, Ausdauer und Leidenschaft. Mit anderen Worten: Genau die Attribute, die es im Sport braucht, um erfolgreich zu sein und von Zuschauern in aller Welt bejubelt zu werden.