Essen. Immer weniger Fahrer, die am Steuer telefonieren, werden dafür bestraft. In NRW ist ihre Zahl in fünf Jahren um ein Fünftel gesunken. Woran liegt das?

  • Mehr "Handy-Sünder" in erwischt - aber nicht mehr Bußgelder verhängt
  • Zahl der geahndeten Verstöße hat in fünf Jahren um 20 Prozent abgenommen
  • Innenminister der Länder fordern Änderungen an der Straßenverkehrsordnung

Der verfluchte kurze Blick aufs Display. Zwei Sekunden die Fahrbahn außer Augenkontakt gelassen, 30 Meter Blindflug . Das auf die Straße rennende Kind ist dann kaum wahrnehmbar.

Eine Alltagssituation. „Der gestiegene Anteil an Smartphones sowie deren immer vielfältiger werdende Nutzungsmöglichkeiten spiegelt sich zunehmend im Unfallgeschehen wieder“, formulieren die Innenminister der Länder in ihrem jüngsten Saarbrücker Konferenzbeschluss reichlich bürokratisch. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) kann da seine Ruhrgebiets-Abstammung nicht leugnen und nennt Handy-Telefonate am Steuer sehr direkt: Eine „Seuche“. Was alle eint, ist die Botschaft: Wer gleichzeitig den Wagen steuert, telefoniert oder Mails checkt, gefährdet sich und andere.

Smartphones nach schweren Unfällen sichergestellt

147.000 Sünder dieser Kategorie wurden im letzten Jahr von NRW-Polizisten erwischt, zehn Prozent mehr als 2014. Das sind die offiziellen Zahlen aus Düsseldorf. Und in 339 Fällen – einige mit Toten - haben die Beamten nach schweren Unfällen Smartphones sichergestellt. Der Zweck: Die Ermittler lesen die Geräte aus, um den Zeitpunkt des letzten Gesprächs oder der letzten Nutzung festzustellen. Der Verdacht: Der Unfallfahrer hat sich ablenken lassen.

Wer allerdings angesichts des massiven Warn-Trommelfeuers der Minister die Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes in Flensburg studiert, wird sich die Augen reiben: Tatsächlich werden in Deutschland Jahr für Jahr weniger Autofahrer wegen der „verbotswidrigen Nutzung von Mobiltelefonen im Straßenverkehr“ zur Rechenschaft gezogen.

Bußgeldstellen gehen lässiger gegen Telefonsünder vor

Die Zahl der verhängten Bußen – 60 Euro plus ein Punkt im Sündenregister - sind nicht nur deutlich geringer als die von der Polizei vor Ort festgestellten Fälle. Die zuständigen Bußgeldstellen in den Städten und Kreisen, die die Meldungen der Polizei erhalten, gehen auch Jahr für Jahr lässiger gegen die Telefonsünder vor. Haben sie 2011 bundesweit noch 443.385 Fälle an das Kraftfahrtbundesamt gemeldet, waren es 2915 noch gerade 363.417. Ein Minus von 18 Prozent.

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Noch auffälliger unterscheiden sich die polizeilichen Feststellungen von den Meldungen der Kommunen in Nordrhein-Westfalen. 2011 meldeten die NRW-Kommunen 161.152 Fahrer nach Flensburg, die gegen den Paragraphen 23, Absatz 1a der Straßenverkehrsordnung verstoßen haben sollen. 2012 waren es noch 135.734, zwei Jahre später nur etwas über 129.000. 2015 wurde in NRW der Niedrigstand der letzten fünf Jahre mit 124.362 erreicht.

Zählt jemand falsch? Oder wie kommt es zur vermeintlichen Differenz zwischen Wort und Tat?

Das Kraftfahrtbundesamt steht hinter seinen Zahlen. „Diese Verstöße sind meldepflichtig“, sagt Sprecher Immen, „und unsere Statistik spiegelt die Meldungen aus den Ländern wider“. Unterm Strich, so Flensburg, „war in Berlin, , Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen ein Rückgang zwischen 15 und 30 Prozent zu verzeichnen“. In vier Ländern, darunter Bayern, seien die Verstöße gegenüber 2011 sogar um mehr als 30 Prozent gesunken.

Einstellung der Verfahren oder Meldung nach Flensburg

Die Nachfrage in Düsseldorf ergibt: Von Entwarnung könne keine Rede sein, im Gegenteil. Wolfgang Beus, Sprecher des NRW-Innenministeriums, räumt zwar ein, dass in Jägers Zahlen auch die Radfahrer einbezogen sind, die gegen das Telefon-Verbot verstoßen haben, gegen die aber keine Punkte verhängt werden und die deshalb nicht nach Flensburg gemeldet werden. Dennoch ist das nur der kleinere Anteil und er erklärt schon gar nicht den Sinkflug der Zahlen in den letzten fünf Jahren. Entscheidend sei, wie die Bußgeldstellen bei den NRW-Kommunen mit den Meldungen der Landespolizei umgehen würden, denn diese müssen zum Beispiel die Einsprüche bearbeiten. Einstellung der Verfahren oder Meldung nach Flensburg – das ist deren Ding.

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Sind die Einsprüche der mutmaßlichen Handy-Telefonierer, die von Polizisten gestellt wurden, so erfolgreich? Konkreter noch: Jahr für Jahr immer erfolgreicher?

Tatsächlich gehen die Verdächtigen oft mit allen Tricks gegen die Bescheide vor. Polizeibeamte bestätigen, dass vor den Bußgeld-Behörden oder dem Gericht aus den Handys nicht selten ganz andere Gerätschaften werden: Diktiergeräte oder auch Rasierapparate. Die in die Hand zu nehmen ist erlaubt. Aber generell gilt, dass die Rechtssicherheit rund um den veralteten StVO-Paragraphen 23 ziemlich wackligen Boden hat, wie auch die Innenministerkonferenz festgestellt hat.

  • Offen: Welche Geräte genutzt werden dürfen und welche nicht. Im Gesetzestext ist einem Fahrer nur „die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons untersagt, wenn er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält“. Von gecheckten Mails ist keine Rede, Worte wie Tablets oder Smartphones tauchen nicht auf.
  • Offen: Was mit neuen technischen Entwicklungen wie der Start/Stop-Automatik in vielen neuen Fahrzeugen ist, die den Motor ausschalten, wenn die Ampel auf Rot steht. Auch hier sieht die Konferenz der Innenminister erheblichen Korrekturbedarf.
  • Offen: Ob die verbotene Handy-Nutzung überhaupt eine gewichtige Unfallursache ist. Nur wenige Bundesländer – wie NRW - schlüsseln in ihren Statistiken diese Unfälle auf. Die zentrale bundesweite Jahresunfallstatistik, die gerade veröffentlicht wurde, kennt die Ursache dagegen nicht. Dabei ist die Grauzone nach Experten-Ansicht riesig.

Auch wenn der Bundesverkehrsminister keinen Grund sieht, den Text in der Straßenverkehrsordnung zu ändern, steht Alexander Dobrindt (CSU) unter Druck. Die Länderinnenminister wollen im Herbst einen Beschluss über eine Rechtsverschärfung fassen.