Essen. 2015 gab es über 200 Anzeigen gegen Personen, die in NRW an illegalen Autorennen teilgenommen haben sollen. Die Fahrer suchen den Adrenalin-Kick.

Es ist gerade einmal drei Monate her, dass die Gelsenkirchener Polizei in einer Pressemitteilung von "illegalen Rennen" auf der Polsumer Straße berichtete. "Immer wieder" werde die Straße als "Rennstrecke" missbraucht. "Die Unfallhäufigkeit mit teilweise Schwerstverletzten" spreche eine "mehr als deutliche Sprache", heißt es weiter.

Jetzt spricht die Polizei von "Einzelfällen". Eine Rennszene gebe es nicht in Gelsenkirchen - gleichwohl sich Gruppen junger Männer immer wieder in einer Tankstelle im Ortsteil Hassel träfen. Auch viele anderen NRW-Polizeidienststellen machen ähnliche Angaben: Illegale Straßenrennen seien kein Thema. Fakt aber ist: 2015 gab es 230 Anzeigen gegen Autofahrer wegen des Verdachts der Teilnahme an illegalen Autorennen, heißt es beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg. Das NRW-Innenministerium bestätigt diese Zahl. Warum die einzelnen Dienststellen illegale Rennen kaum als Problem wahrnehmen, darüber kann es nur spekulieren. Die Rennen würden über das gesamte Landesgebiet verteilt stattfinden, sagt ein Sprecher: "Nicht jeder Ort hat eine aktive Szene."

Die Raser sind fast immer junge Männer

Trotzdem melden die Polizeidienststellen regelmäßig illegale Rennen. Obwohl nicht zu jedem Fall eine Mitteilung herausgegeben wird, berichtete die Polizei in ihren Pressemitteilungen seit 2014 von mehr als 30 illegalen Autorennen. Fast immer sind junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren beteiligt, die sich mit ihren BMW oder Audis über die Fahrbahn jagen. Die Vorfälle verteilen sich über ganz NRW: Köln, Paderborn und Bielefeld sind betroffen, aber auch das Ruhrgebiet. Doch das Phänomen beschränkt sich nicht allein auf Städte, auch in ländlichen Kreisen, etwa im Sauerland, gibt es illegale Rennen.

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Die Raserei sei "brandgefährlich", sagt Stephan Hegger von der Gewerkschaft der Polizei. "Wenn es dabei Unfälle gibt, dann kommen die Rennteilnehmer häufig von der Straße ab. Und dann trifft es Radfahrer oder Fußgänger.“ Er glaubt, dass vor allem mehr Polizeikontrollen die Hobby-Rennfahrer zur Einsicht bringen können. "Wenn wir auffällige Fahrer anhalten und ihnen erklären, was sie falsch gemacht haben, dann ist ihnen das meist wirklich unangenehm. das ist besonders nachhaltig."

Polizei führt immer weniger gezielte Kontrollen durch

Doch die Kontrollaktionen, bei denen Autofahrer gezielt gestoppt werden, werden immer seltener. 2014 gab es 446.408 entsprechende Kontrollen, 2015 waren es 314.231. "Das ist ein Rückgang von 30 Prozent", so Hegger. Das schlage sich auch in den Unfallzahlen nieder: "Man kann sagen, je weniger Kontrollen, desto mehr Unfälle gibt es." 2015 stieg die Zahl der Verkehrsunfälle um 4,6 Prozent. Der Polizei fehle es schlicht an Personal, um mehr Kontrollen durchzuführen. Nur bei den stationären Kontrollen, also Blitzanlagen, habe es einen leichten Zuwachs gegeben. "Aber die neuen Geräte werden sehr oft nicht an Unfallschwerpunkten aufgestellt, sondern an Einnahmeschwerpunkten", sagt Hegger.

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Rechtlich ist den Rasern nur schwer beizukommen. Autorennen auf öffentlichen Straßen sind zwar verboten, aber keine Straftaten, sondern lediglich Ordnungswidrigkeiten - auch wenn in der Folge eines Rennens ein Unfall passiert. „Das ist eine kleine Gesetzeslücke“, sagt der Kölner Verkehrsrechtler Joachim Zimmermann. Paragraph 315 C des Strafgesetzbuchs regelt, wann eine Gefährdung des Straßenverkehrs eine Straftat ist. Autorennen sind dort nicht aufgeführt, sondern nur Punkte, die im Rahmen eines Autorennens eine Rolle spielen könnten, wie etwa die Nichtbeachtung der Vorfahrt.

Gesetzeslücke erschwert Urteile gegen Raser

Diese Gesetzeslücke könnte sich laut Zimmermann auch auf einen aktuellen Prozess in Köln auswirken. Zwei junge Männer lieferten sich dort ein Autorennen, bei dem einer der beiden die Kontrolle über sein Auto verlor und eine 19-jährige Radfahrerin erfasste, die später an ihren Verletzungen starb.

Die derzeitige Gesetzeslage könnte dafür sorgen, dass die Angeklagten im Fall einer Verurteilung zwar wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden - aber nicht wegen des ursächlichen illegalen Rennens. Das heißt, dass sie mit einem Fahrverbot wegen der begangenen Ordnungswidrigkeit rechnen müssen - aber nicht zwangsläufig mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis. Doch warum interessieren sich überhaupt so viele junge Männer für die gefährlichen Rennen?

Der Reiz liegt laut Nico Klassen im Adrenalin-Kick: „Das und der Wunsch, besser zu sein als der Gegner.“ Klassen fuhr Ende der Neunziger selbst jahrelang illegale Autorennen: „Ich hatte Langeweile. Und wegen meiner KfZ-Ausbildung habe ich mich ohnehin viel mit Autos beschäftigt. Die Rennen wurden für mich zur Sucht.“

"Zivilpolizisten erkennt man sofort"

Als Rennstrecke dienten Klassen und seinen Freunden verlassene Industriegebiete im Umkreis von Hamm, wo er bis heute lebt: „Wir haben uns die Stellen für die Rennen gut ausgeguckt.“ An den Eingängen zum Industriegebiet standen Freunde Schmiere, die mit Funkgeräten rechtzeitig vor der Polizei warnen konnten: „Selbst Zivilpolizisten erkennt man sofort. Sie fahren immer ähnliche Autos mit billigster Ausstattung.“

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Die Gefahr bei solchen Rennen würden die Teilnehmer nicht realisieren. "Sobald man sich für das Rennen trifft, blendet man alles andere aus“, sagt Klassen. Auch er selbst schaffte den Absprung erst durch ein tragisches Ereignis: „Ein guter Freund von mir ist bei einem Rennen mit dem Motorrad tödlich verunglückt. Er ist gestürzt und mit dem Helm gegen ein Verkehrsschild gestoßen. Er war sofort tot. Da habe ich mich auf einmal gefragt: Was machst du da eigentlich für einen Scheiß?“

300-PS-Motoren serienmäßig

Nico Klassen veranstaltet mittlerweile legale Autorennen auf offiziellen Rennstrecken – auch, um illegale Rennfahrer von der Straße zu locken. Zur Szene hat er nach wie vor guten Kontakt: „Seit meiner aktiven Zeit ist die Szene aber viel größer geworden. Allein im Großraum Köln gibt es etwa 5000 Leute, die an illegalen Rennen teilnehmen.“

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Auch die Autos die bei solchen Rennen zum Einsatz kommen, seien in den letzten Jahren schneller geworden: „Zu meiner Zeit hatten die Autos vielleicht 75 oder 90 PS, mit Tuning vielleicht 150. Heutzutage kann man sich für 300 Euro im Monat einen Mercedes leasen, der serienmäßig über 300 PS hat.“

Raser nutzen Mietwagen und Carsharing

Über Car-Sharing-Anbieter oder Mietwagenfirmen besorgen sich einige Raser sogar speziell für einzelne Rennen Autos. Als im Juli 2015 ein Unbeteiligter bei einem illegalen Autorennen in Köln ums Leben kam, waren die beiden Raser mit einem Mini Cooper und einem BMW des Car-Sharing-Anbieters "Drive Now" unterwegs. „Die Anbieter können Menschen aus einer solchen Szene zumeist nicht von anderen unterscheiden. So können wir nicht ausschließen, dass Mietwagen für gefährliche Fahrten oder auch sogenannte illegale Rennen verwendet werden. Das lässt sich auch im Nachhinein nicht kontrollieren“, sagt Michael Brabec vom Bundesverband der Autovermieter. Ob die Mieter bekannte Raser sind, lasse sich aber allenfalls durch eine Überprüfung beim Kraftfahrtbundesamt feststellen. Die ist in Deutschland aus datenschutzrechtlichen Gründen aber nicht möglich.

Es gebe aber Bestrebungen dies zu ändern, so Brabec: „Ein nach den Ereignissen in Köln geführtes persönliches Gespräch von uns mit dem Bundesverkehrsministerium war jedoch nicht erfolgreich.“

Dass die Polizei die illegale Rennszene mit den bisherigen Maßnahmen in den Griff bekommt, kann Nico Klassen sich nicht vorstellen: „Heute können sich die Teilnehmer von Rennen ganz einfach mit WhatsApp und Facebook vor Polizeistreifen warnen.“ Ohnehin würde die Polizei bestenfalls von einem Prozent aller illegalen Rennen erfahren.

Legale Strecken als mögliche Alternative

Klassen glaubt, dass nur mehr legale Rennstrecken helfen können: "Die meisten Leute wollen aus der Szene aussteigen, können aber nicht auf den Adrenalinkick verzichten." Andere Länder wie Dänemark, Dubai oder Großbritannien hätten mit günstigen, legalen Strecken große Erfolge im Kampf gegen illegale Rennen eingefahren.

"Dafür ist NRW zu dicht besiedelt", glaubt Polizeigewerkschafter Stephan Hegger. "Ich wüsste nicht, wo man neben die Straßen noch Rennstrecken bauen sollte. Wenn die Jungs Spaß haben wollen, dann gibt es den Nürburgring und andere Strecken. Aber das ist vielen wohl zu weit weg oder zu teuer.“