Berlin. Die Anti-Baby-Pille gehört zu den wichtigsten Verhütungsmitteln. Eine Werbemasche der Pharmaindustrie sorgt nun aber für Kritik von den Krankenkassen.
Über die Hälfte aller deutschen Frauen verhütet mit der Pille, Tendenz steigend. Die Pille ist seit über 50 Jahren auf dem Markt und gilt als zuverlässig. Doch die Pharmaindustrie vermarktet neue Präparate zunehmend als Lifestyle-Produkt für junge Frauen, mit dem Hautprobleme verschwinden, Pfunde purzeln und Haare glänzen sollen. Die Techniker Krankenkasse (TK) warnt in ihrem am Freitag veröffentlichten Pillenreport: Die neuen Präparate bergen ein bis zu dreimal so hohes Thromboserisiko wie die altbewährten Pillen.
Was wirft die Krankenkasse der Pharmaindustrie vor?
Da Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland verboten ist, würden die Hersteller über Internetportale, auf Beautyblogs und YouTube-Kanälen die vermeintlich positiven Nebenwirkungen der neuartigen Präparate für Haut und Haare anpreisen. Hinweise auf Risiken würden eine untergeordnete Rolle spielen. Und häufig sei nur schwer erkennbar, dass hinter der Werbung Pharmaunternehmen steckten. „Die Hersteller von Pillen haben offensichtlich herausgefunden, wie man gerade für die Zielgruppe der jungen Frauen neue Medien nutzt, um diese mit ihrer Sprache zu erreichen“, sagt Professorin Petra Thürmann, Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische Pharmakologie.
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Arzneimittelexperte Gerd Glaeske, Mitautor des Pillenreports, gibt zu bedenken: „Es muss hinterfragt werden, ob nicht zwischen Beauty- und Lifestyletipps in Wahrheit ein ungefilterter Informationsfluss von Werbebotschaften der Pharmaindustrie an die Teenager stattfindet.“
Wie erkennen Frauen, welches Risiko ihre Pille birgt?
„Neu ist nicht immer gleich besser“, warnt Glaeske. Pillen älterer Generationen würden genauso effektiv vor Schwangerschaften schützen, hätten aber ein geringeres Thromboserisiko. Ältere Präparate werden der sogenannten 2. Generation zugeordnet, neue der 3. und 4. Generation.
Der wesentliche Unterschied sind dabei die sogenannten Gestagene. Jede Pille kombiniert zwei künstlich hergestellte Hormone. Eines ist dem weiblichen Östrogen nachempfunden und verhindert den monatlichen Eisprung, das andere ist ein Gestragen und behindert die Spermien auf ihrem Weg in die Gebärmutter. Das verwendete Gestragen ist ausschlaggebend für das Thromboserisiko. „Wer wissen möchte, zu welcher Gruppe das eigene Präparat gehört, kann das im Beipackzettel nachlesen“, sagt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. „In einer Pille der 2. Generation steht als Gestagen Levonorgestrel oder Norgestimat, in Pillen der 3. oder 4. Generation stehen Gestoden, Desogestrel, Dienogest oder Drospirenon.“ Die Gestagene Chlormadinonacetat und Dienogest würden keiner Generation zugeordnet. Albring: „Ihr Thromboserisiko ist nicht ausreichend bekannt.“
Warum empfehlen Experten die altbewährten Präparate?
Zwar ist auch Levonorgestrel nicht risikofrei. Studien der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zufolge kommt es bei 20 von 100.000 Frauen, die ein Jahr Präparate mit Levonorgestrel einnehmen, zu einer Thrombose. Bei Frauen, die kein hormonelles Verhütungsmittel nutzen, sind es nur bis zu zehn Fälle. Allerdings liegen für die bei neuen Präparaten verwendeten Hormone deutlich höhere Werte vor. Bei den Stoffen Desogestrel oder auch Gestoden sind es 30 bis 40 Thrombosen pro 100.000 Frauen und Jahr.
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Drospirenonhaltige Präparate könnten sogar ein mehr als dreimal höheres Risiko im Vergleich zu Pillen mit Levonorgestrel aufzeigen, schreiben die Autoren des Pillenreports. „Das Risiko sollte für Frauen, die die Pille nehmen, so gering wie möglich gehalten werden“, rät Glaeske, „deswegen empfehlen wir die Pillen der 2. Generation, wenn bei der Patientin keine Unverträglichkeit besteht.“
Warum verschreiben Ärzte häufiger die risikoreicheren Pillen?
Trotz der bekannten Risiken dominieren die neuen Pillen den Markt. Mit über zwei Millionen verkauften Packungen pro Jahr führt die Pille Maxim die Verkaufscharts 2014 an, gefolgt von Lamuna mit etwa 743.000 verkauften Packungen – beides Präparate der neueren Generationen. „Häufig werden diese Pillen mit dem Hinweis empfohlen, dass sie geringer dosiert seien“, so Glaeske, „dieser Punkt ist allerdings unsinnig, denn keine der heutigen Pillen ist mehr so hoch dosiert, wie die ersten Pillen vor 50 Jahren.“ Die neuen Präparate würden vor allem entwickelt, weil sie „zu höheren Preisen vermarktet werden können“, so die Autoren des Pillenreports.
Frauenarzt Albring verteidigt die neuen Präparate: „Levonorgestrel, das in den älteren Pillen vorkommt, kann bei manchen Mädchen und Frauen Akne verschlimmern, zu Haarausfall führen oder auch Haarwuchs an unerwünschten Stellen verstärken. Deshalb hat es Weiterentwicklungen gegeben.“ Die TK-Experten sehen die Argumente kritisch: „Marketing und Werbung der Hersteller konnten Ärzte trotz des bekannten erhöhten Risikos von den angeblichen Vorzügen dieser neuen Pillen überzeugen.“
Was fordern die Kritiker?
Welche Pille die Patientin nimmt, entscheidet sie am Ende selbst, hier sind sich Ärzte und Kritiker einig. Doch obwohl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Ärzte verpflichtet, auf das höhere Thromboserisiko hinzuweisen, würden viele Frauen nicht ausreichend aufgeklärt, kritisiert die TK. Die Risikokommunikation funktioniere nicht. Sie fordert mehr Transparenz von den Medizinern: Präparate aus der neuen Generation sollten Patientinnen erst dann verschrieben werden, wenn ihnen genau erklärt wurde, dass sie dadurch ein höheres Risiko haben als bei einer Pille der älteren Generation.