Köln. . 21 Teams ermitteln in der „Tatort“-Republik. ARD-Koordinator Gebhard Henke verrät, wie groß das Interesse ist, Drehort zu werden - und was nicht geht.
Der „Tatort“ macht Sommerpause. Doch selbst Wiederholungen holen starke Marktanteile. Warum das so ist, weiß ARD-Koordinator Gebhard Henke. Im Gespräch mit Jürgen Overkott erlaubt der 60-jährige WDR-Filmchef überdies auch einen Blick hinter die Kulissen von Deutschlands erfolgreichster Krimi-Reihe.
Der „Tatort“ macht Sommerpause bis Anfang September. Warum?
Gebhard Henke: Eines vorweg: Wir haben heute viel mehr „Tatorte“ als vor 20 Jahren. Früher gab es zwölf bis 15 Erstsendungen pro Jahr. Wenn wir den „Polizeiruf“ dazurechnen, gibt es heutzutage fast so viele neue Filme, wie das Jahr Sonntage hat. Und wenn wir Pause machen, nehmen wir die Zeit, wo es draußen warm ist, wo viele Leute im Schwimmbad sind oder in den Ferien. Es ist besser, Erstsendungen in der Zeit zu zeigen, in der es früher dunkel wird und die Leute gerne zuhause sind...
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…wobei sich der „Tatort“ in diesem Frühjahr erstaunlich gut gegen Angebote im Freien behauptet hat. Was lockt das Publikum vor die Kiste?
Henke: (lacht) Gut, man muss zwischen Millionen und Marktanteilen unterscheiden...
...beides hat gestimmt. Üblicherweise wird der „Tatort“ am Sonntagabend von jedem vierten Zuschauer gesehen...
Henke: ...nach meiner Erfahrung gucken viele Menschen den „Tatort“ auch auf der Terrasse; das beißt sich offenbar nicht.
Heißt das, dass mehr Zuschauer den „Tatort“ auf mobilen Geräten wie Smartphone oder Tablet-Computer sehen?
Henke: Das glaube ich nicht unbedingt. Nebenbei: Für die Medienforschung ist es noch ein Problem zu erfassen, wie viele Leute eine Sendung beim Public Viewing sehen. Das galt bei der letzten Fußball-Weltmeisterschaft, aber das gilt in gewisser Hinsicht auch für den „Tatort“, weil die Krimis immer mehr in Kneipen geguckt werden. Die Lust am gemeinsamen Gucken – sei es mit Freunden, sei es in der Kneipe – hat zugenommen.
Inzwischen gibt es „Tatort“-Kneipen sogar in Wien und Zürich. Es gibt übrigens auch immer mehr Kino-Besitzer, die den „Tatort“ zeigen wollen. Die „WDR-Lokalzeit Köln“, beispielsweise, zeigt demnächst den neuen Kölner Fall in einem Open-Air-Kino. Das liegt derzeit im Trend. Public Viewing funktioniert in zwei Bereichen: Sport und „Tatort“.
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Aber zurück zur Ausgangsfrage: Warum, glauben Sie, ist der „Tatort“ nichts fürs Mäusekino?
Henke: Die Leute sind anspruchsvoller geworden. Sie wollen die Krimis in einer guten Projektion sehen oder doch zumindest auf einem großen Bildschirm. Deshalb hat der „Tatort“ inzwischen Kino-Qualität, und das Publikum achtet auch sehr darauf, was die Bilder zeigen, beispielsweise ob es Anschlussfehler gibt oder ein „Schimanski“-Krimi eine Bahnlinie aus Köln zeigt.
Zugleich gibt es weniger Drehtage. Früher waren es mal 30, heute sind es 23.
Henke: Es ist ertaunlich, was heutzutage technologisch möglich ist. Gleichzeitig bewundere ich, wie anspruchsvoll gearbeitet wird. Die Teams machen viel mehr Einstellungen als noch vor 25 Jahren. Es gibt mehr Schnitte. Der „Tatort“ ist komplexer geworden, obwohl die Macher weniger Zeit haben.
Auf der Karte der „Tatort“-Republik Deutschland gibt es mittlerweile 21 Kommissariate. Ist das Ende der Fahnenstange erreicht?
Henke: Viele Schauspieler, die wir für „Tatorte“ gewinnen, machen nicht mehr als zwei pro Jahr. Axel Prahl und Jan-Josef Liefers, beispielsweise, drehen nebenher noch Kino- oder Fernsehfilme - und singen, übrigens sehr gut. Wenn Sie auf eine bestimmte Schlagzahl kommen wollen, müssen sie mehr Teams gründen. Außerdem ist die Zeit schnelllebiger geworden: Manche Teams hören nach vergleichsweise kurzer Zeit wieder auf – oder wollen aufhören. Ich glaube, es wird in der Zukunft schnellere Wechsel geben. Aber anders herum: Das bewusste Bemühen der Sender, möglichst viele Teams haben zu wollen, kann ich bei keinem erkennen. Die Zuschauer jedenfalls stören sich nicht an der Zahl der Kommissariate.
Tatsächlich?
Henke: Wenn es in den 90ern ein neues Team gab, musste es sich gegen Platzhirsche wie Manfred Krug langsam hocharbeiten. Als kürzlich der erste Franken-„Tatort“ gezeigt wurde, gab es – bumms – gleich zwölf Millionen Zuschauer. Der dritte Grund für die hohe Zahl der Kommissariate ist ein ganz pragmatischer: Die Gefahr, dass sich die Fälle bei den „Tatorten“ ähneln, ist geringer.
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Wie groß ist das Interesse, „Tatort“-Stadt zu werden?
Henke: Genau kann ich das gar nicht beziffern. Aber es ist cool, „Tatort“-Stadt zu sein. Das wertet eine Stadt auf, weil es Aufmerksamkeit schafft. Manchmal wird auch polemisiert. Wir hatten eine Debatte mit Menschen aus Bonn. Sie beschwerten sich, weil das Haus von Boerne und Thiel dort steht. Die Argumentation lautete: Der „Tatort“ lügt, es wäre doch viel ehrlicher, die Fälle nicht mehr in Münster, sondern in Bonn anzusiedeln. Aber wir gehen nicht nach dem Kriterium: Wer am lautesten schreit, erhält den Zuschlag.
Sondern?
Henke: Wo sind die interessantesten Geschichten verortbar? Und: Wo waren wir noch nie?
Wie groß ist das Verlangen eines Stadtmarketings, schöne Bilder zu erhalten?
Henke: Da muss man die Balance halten. Wir sagen aber auch: Wenn ein Krimi entstehten, kommen immer auch unschöne Dinge zur Sprache – weil das zum Verbrechen gehört. Denken Sie an die Hassliebe zwischen Duisburg und „Schimanski“. Es gab viel Kritik aus Duisburg: Wie sieht die Stadt aus? Was ist das für eine Figur? Gut, dass der damalige Oberbürgermeister Krings seine schützende Hand darüber gehalten hat. Inzwischen ist es so: Ich habe bei einer Fernsehmesse in Las Vegas gesehen, dass die Stadt Duisburg mit „Schimanski“ warb. „Schimanski“ ist zu einer Fernseh-Ikone geworden.
Die Büros der Tatort-Kommissare
Zuletzt gab es Gemecker in Dortmund.
Henke: In einer Krimi-Stadt werden reale, dunkle Stellen ausgeleuchtet, und der Rechtsradikalismus in Dortmund ist nun mal eindeutig ein Thema.
Was sagen Sie Kritikern?
Henke: Ein kluger Oberbürgermeister wird immer sagen, lasst das Team mal machen. Wenn man den „Tatort“ zur Werbeveranstaltung einer Stadt machen würde, wär’s ein schlechter Film. Wir lassen uns von der Polizei beraten, zeigen ihnen auch vorher noch mal die Bücher, aber eine direkte Einflussnahme würden wir nicht akzeptieren.