Essen. Tierversuche für Kosmetika sind verboten, zu medizinischen Zwecken aber erlaubt. Doch was ist mit Präparaten, die in beiden Bereichen einsetzbar sind?
Noch ist das Gewimmel in der kleinen hellen Plastikschüssel groß. Die weißen Tierchen klettern hektisch übereinander. Die ersten beginnen, rhythmisch zu zucken. Die Mäulchen sind sichtbar aufgesperrt. Dann ist bald Ruhe. Die Mäuse sind tot. Labormitarbeiter picken die Tierleichen und packen sie in durchsichtige Tüten ein.
Britische Tierversuchsgegner von der Organisation BUAV haben das Video, das diese Szene wiedergibt, heimlich in den Wickham Laboratories in Hampshire gedreht. Aber solche Tests sind überall Alltag in Europa. Auch in Deutschland. Sie dienen den Menschen, weil so die Wirkungen von Arzneien erprobt werden können.
Wie hier werden die Versuchstiere oft das Opfer von LD-Tests. LD 50 bedeutet, dass die eine Hälfte der vierbeinigen Probanden stirbt, die andere zu Vergleichzwecken aber nur verdünnte Substanz erhält und plangemäß überlebt.
Krämpfe, Lähmung, Blindheit
Das verabreichte Gift ist schwer. Die Grünen im Bundestag haben den letalen Vorgang so beschrieben: „Äußerst schmerzhaft“ werde der Nerven-Stoff „in die Bauchhöhle gespritzt“. Nach drei bis vier Tagen verendeten die Tiere „unter schweren Qualen“ durch Ersticken – nach Krämpfen, Lähmungen und einer Erblindung. Alleine 2013 kostete das bundesweit 22 000 Mäuse-Leben, in den letzten zehn Jahren insgesamt 228 000.
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Demnächst werden weitere 150 000 Mäuse die Tortur durchmachen, 90 000 davon die härtere Gangart. Die Grünen im Bundestag haben die seit November letzten Jahres bestehende Datei „animaltestinfo.de“ durchsucht und herausgefunden: Die zuständigen Länderbehörden haben fünf neue Testreihen genehmigt, bei denen die Wirkung der Stoffe Botulinumtoxin A und B an den Tieren erprobt werden sollen. Es sind Präparate, die helfen, Migräne zu bekämpfen – die aber auch gerne dazu genutzt wird, Falten zu glätten und Menschen schöner zu machen. Am Ende kann sogar der behandelnde Arzt entscheiden, welche Charge Botox er als neurologische Medizin einsetzt und welche für die gewünschte Anti-Falten-Spritze.
Gesetzeslücke vermutet
Eine entscheidende Frage, findet die Bundestagsabgeordnete Nicole Maisch. Sie ortet eine „Gesetzeslücke“. Denn das deutsche Recht, das den EU-Regeln folgt, legt fest, dass Tierversuche generell nur zur Erprobung von Medikamenten zugelassen sind, nicht aber von Kosmetika. Was ist aber, wenn der zu testende Grundstoff zu beidem taugt?
Man kennt solche Konflikte aus ganz anderen Bereichen. Der Zoll hat ständig Probleme, „dual use“-Produkte zuzuordnen: In die, die lebensspendenden Strom erzeugen und die, aus denen die Atombombe gemacht ist. Es gibt eben Dinge, die zu vielem brauchbar sind – und missbrauchbar. Auch Botox gehört dazu. In solchen Fällen gibt es bei uns keine glasklaren Regeln. „Hier muss die Regierung ran“, sagt deshalb Maisch und spitzt den Konflikt zu: „Verbraucher in Deutschland müssen sich darauf verlassen können, dass für ihre Schönheit keine Tiere leiden müssen“.
Wo Tierschutz und Kosmetik zusammentreffen, war das deutsche Recht an sich nicht so schlecht. Seit Mitte der 80er Jahre darf kein Lippenstift mehr mit Tieren getestet werden, wenig später galt dies auch für Cremes und Shampoos. Die meisten EU-Ländern zogen irgendwann nach. Doch dann hat der Ehrgeiz irgendwann nachgelassen. Was sich auch beim angekündigten Mäusetest bemerkbar macht.
Menschenzellen sind besser
Die antragstellenden Pharma-Firmen haben natürlich angegeben, die Versuchsreihen für Medikamente zu nutzen. Doch selbst, wenn die nur dem Kampf gegen die Migräne dienten – in naher Zukunft sind Tierversuche ohnehin überflüssig. Denn Ersatzversuchsträger, die auf menschlichen Zellen basieren, sind schon in der Zulassung. „Sie könnten sogar sensitiver sein als ein vergleichbarer Tierversuch“, hat die Bundesregierung kürzlich dem Bundestag zu Protokoll gegeben.
„Warum werden dann noch Tierversuche an rund 90 000 Mäusen genehmigt?“, haben Nicole Maisch und ihre Parteifreunde jetzt die schwarz-rote Koalition gefragt.