Berlin. . Ein Kleinkind ist an der Krankheit gestorben. Es war nicht gegen Masern geimpft - so wie die meisten der 570 Menschen, die seit Oktober erkrankten.

Fieber, Husten, Hautausschlag: Masern äußern sich zunächst kaum anders als eine Grippe. Für harmlos und vorübergehend halten viele die Infektionskrankheit. Doch das Bild ist trügerisch: Das zeigt der aktuelle Masern-Ausbruch in Berlin seit Oktober 2014. Mehr als 570 Fälle sind dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) von Ausbruchsbeginn bis Montag gemeldet worden - rund 90 Prozent aller Erkrankten waren nicht geimpft. Als dann der Tod eines an Masern erkrankten Kleinkindes aus Berlin-Reinickendorf bekannt wurde, ist die Debatte um eine Impfpflicht neu entbrannt.

Wie sich der anderthalbjährige Junge angesteckt hat, blieb zunächst unklar. Vorerkrankungen sollen nicht vorgelegen haben. "Das Kind war geimpft, aber nicht gegen Masern", sagte Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU). Auch eine Sekundarschule in Berlin-Lichtenrade blieb am Montag wegen eines erkrankten Jugendlichen vorsorglich geschlossen. Mitschüler und Lehrer müssen nun ihre Impfbücher vorweisen. Regulär nach Stundenplan soll es am Dienstag weitergehen.

Masern sind hochansteckend, schwächen das Immunsystem und können bei Komplikationen zu schweren Infektionen wie Lungen- und Gehirnentzündungen führen.

Der beste Schutz für kleine Kinder sind geimpfte Eltern

Als "Katastrophe aus medizinischer Sicht" bezeichnete der Berliner Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske, den Ausbruch in der Hauptstadt. Kleine Kinder unter einem Jahr seien besonders gefährdet: "Diese Gruppe kann man nur schützen, wenn das Umfeld geimpft ist." Sind Mütter von Kleinkindern nicht geimpft oder verfügen sie nur über wenige Antikörper, die sie etwa beim Stillen weitergeben, greift der sogenannte Nestschutz nicht. Unter elf Monaten sollen Kleinkinder nicht gegen Masern geimpft werden.

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Bei Schülern seien die Impfraten in Berlin nicht schlechter als anderswo, sagte die amtierende Leiterin des Fachbereichs Impfprävention am Robert Koch-Institut, Anette Siedler. Allerdings bestehe bei der zweiten Masern-Impfung noch Nachholbedarf. Ausbrüche in Berlin sieht sie weniger in Zusammenhang mit Impfverweigerern: Die Großstadt mit ihren Großveranstaltungen und dem Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum biete der Krankheit eher einen Nährboden.

Behörden nehmen an, dass der Ausbruch unter Asylbewerbern aus Bosnien, Herzegowina und Serbien seinen Anfang nahm. Dort sei in den Wirren des Bürgerkriegs der 1990er Jahre nicht mehr routiniert geimpft worden.

Deutschland erreicht selbstgesteckte Ziele nicht

Ginge es nach der Bundesregierung, dürfte es bundesweit in diesem Jahr maximal rund 80 Masern-Erkrankungen geben. Denn Deutschland hat sich bei der Weltgesundheitsorganisation verpflichtet, die Infektionskrankheit bis 2015 auszurotten. Auch in den USA sind seit Dezember 2014 zahlreiche Menschen an Masern erkrankt - viele steckten sich in einem Freizeitpark in Kalifornien an.

Todesfälle durch Masern sind in Deutschland bereits vorgekommen: "Das kann Kinder wie Erwachsene treffen", sagte RKI-Expertin Siedler. Bei Erwachsenen sei der Krankheitsverlauf häufig schwerer, so dass die Sterblichkeit erhöht sei. Manchmal führten Masern auch erst nach Jahren zum Tod, etwa wenn Spätfolgen wie die Masern-Gehirnentzündung SSPE auftreten. Dass die Krankheit keineswegs harmlos verläuft, zeigen auch die Berliner Zahlen: Etwa ein Viertel der Erkrankten musste ins Krankenhaus.

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Auch während des Ausbruchs sei eine Impfung noch ratsam, sagte Mediziner Jakob Maske. Wer noch nicht immunisiert sei, solle das "sofort" nachholen. Er beklagte, dass Kinder- und Jugendärzte Erwachsene seit neuestem nicht mehr mitimpfen dürften, da dies von der Kassenärztlichen Vereinigung als fachfremde Leistung angesehen werde. "Hier verpassen wir mit Wissen des Gesundheitssenats eine gute Chance, bestehende Impflücken zu schließen.

Nach zwei Wochen wirkt die Impfung

Ein bis zwei Wochen dauert es nach Angaben von RKI-Expertin Siedler, bis der Impfschutz aufgebaut ist. Selbst wenn eine Ansteckung nicht mehr verhindert werden könne: Studien hätten gezeigt, dass die Krankheit bei Geimpften milder verläuft.

Auch außerhalb Berlins seien viele Jugendliche und junge Erwachsene ungeschützt, betonte Siedler. "Es kann durchaus sein, dass der Ausbruch weitergeht." Inwiefern Masern-Fälle in anderen Bundesländern mit dem Berliner Geschehen zusammenhingen, ließe sich nicht sagen. Mehr als 30 Fälle im Jahr 2015 wurden nach Zahlen des RKI bis zum Ende der 5. Kalenderwoche etwa aus Bayern und Brandenburg gemeldet.

Eine Impfpflicht sieht Mediziner Maske nicht als Lösung: "Wir müssen Eltern überzeugen, dass die Impfung wichtig ist." Manche lehnen die Immunisierung ab, da sie den Impfstoff für krankmachend halten. Ende der 1990er Jahre hatte ein Brite die These aufgestellt, der Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln könne Autismus auslösen - diese ist längst widerlegt.

Maskes Kollege Ulrich Fegeler hatte bereits Anfang Februar für eine andere Lösung plädiert: Er fände es hilfreich, wenn alle öffentlichen Einrichtungen von der Kita bis zur Schule einen Impfnachweis vor der Aufnahme eines Kinder verlangten, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Entwurf eines Präventionsgesetzes des Bundesgesundheitsministeriums sieht dagegen vor, dass Eltern vor der Anmeldung ihrer Kinder in der Kita lediglich eine Bescheinigung über eine Impfberatung vorlegen müssen. (dpa)