Banda Aceh. . Vor zehn Jahren riss ein Tsunami Zehntausende in Banda Aceh in den Tod. Um das Elend zu bewältigen, haben die Überlebenden nach Nähe gesucht.
Rozma Wardhani gibt sich etwas wortkarg. Aber lange Erklärungen braucht sie auch gar nicht erst zu geben. Ihre Lieblingsfarbe muss Rot sein, kein Zweifel. Denn der Hijab, den die 40jährige Frau in dem kleinen Dorf Lam Teungo geschwind aus dem Kleiderschrank holt und für ein Foto über ihr fröhlich mit Blumen und Karos verziertes Hemd zieht, ist ebenso rot wie die Polsterung auf dem schweren Holzsofa im Wohnzimmer.
Steif stellt sie sich neben ihrem 56-jährigen Mann Baharuddin inmitten des kleinen Betonhauses auf, in dem die beiden seit ein paar Jahren leben. An der Wand hängt ein Foto des fünfjährigen Sohns Ikram. In ein gelbes Hemd gekleidet schmiegt der Junge sich an Vettern und Cousinen.
Wie Zinnsoldaten stehen Rozma und Baharuddin im Wohnzimmer ihres Hauses, ein kleiner Bau aus Zementwänden, drei kleinen Zimmern und einem Anbau.
Katastrophe kostete 170.000 Menschenleben
Sie demonstrieren Familienglück zehn Jahre, nachdem am zweiten Weihnachtstag des Jahres 2004 erst ein Erdbeben der Stärke 9,1 und anschließend ein gewaltiger, teilweise 20 bis 30 Meter hoher Tsunami die Stadt Banda Aceh und die umliegende Küste dem Erdboden gleichmachte.
Die gigantische Walze aus Wasser, Schrott, Holz, kompletten Autos und halben Häusern tötete entlang der Strände des Indischen Ozeans von Sri Lanka bis Thailand eine Viertelmillion Menschen. In der indonesischen Provinz Aceh, die manchmal auch die Terrasse Mekkas genannt wird, kostete die Katastrophe mit etwa 170.000 Opfer die weitaus meisten Menschenleben.
Am Anfang hat Rozma Sicherheit gesucht
Rozma war damals 30 Jahre alt. Sie verlor ihren Ehemann, ihre Kinder und fast alle Verwandte. „Nein“, sagt die drahtige Frau und schaut ihrem neuen Gatten in die Augen, „Liebe war es anfangs nicht. Ich habe etwas Sicherheit gesucht.“ Ganze vier Frauen aus dem kleinen Fischerdorf eine Handvoll Kilometer westlich von Banda Acehs Hafen Ulhee-lhee überlebten die gewaltige Welle.
Irgendwann muss es Rozma und den drei anderen wohl unheimlich geworden sein angesichts der paar Dutzend Männer aus Lam Teungo, die den Tsunami überlebten und nach Monaten des Schmerzes über den Verlust ihrer Familien plötzlich dazu neigten, drückende Einsamkeit mit Einsatz von Gewalt gegenüber dem anderen Geschlecht zu überwinden.
Es gab Wochen ohne Unterkunft und mit wenig Nahrung
Ehemann Baharuddin: „Ich war alleine, Ich brauchte jemand neben mir.“ Nach fünf Jahren wurde ihr Sohn Ikram geboren. „Wir haben Glück, weil wir noch einmal ein Kind bekommen haben“, sagt Baharuddin. Das Wohnzimmer wirkt, als ob das Leben des 56-jährigen Vaters, der 40-jährigen Mutter und des fünfjährigen Ikram erst an jenem Tag begonnen hat, an dem der Junge geboren wurde. „Doch, doch“, beteuern Rozma und Baharuddin fast gleichzeitig und wie aus einem Mund, „wir haben noch Bilder von unseren früheren Familien. Wir wissen gerade nur nicht, wo wir sie verstaut haben.“
Der Satz klingt, als wollten die Tsunami-Überlebenden in Lam Teungo nicht zugeben, dass sie ihre Vergangenheit verstecken. Aber in der rechten, mit einem schweren Ring verzierten Hand hält der Mann die Fotokopie eines alten Faltblatts, das ein beredtes Zeugnis von den ersten schwierigen Wochen nach der Katastrophe ablegt – Wochen, in denen die Überlebenden ohne Familien, ohne Unterkunft und mit wenig Nahrung überleben mussten.
Jeden Tag kommen die Tränen
Das Flugblatt wurde nach der Katastrophe von der Helfertruppe Uplink gedruckt, die einen Teil der insgesamt 17,2 Millionen Euro erhielt, die von der deutschen Hilfsorganisation Misereor für den Wiederaufbau Acehs ausgegeben wurden. Es zeigt einen ausgezehrten Baharuddin. Daneben steht ein Gedicht, das er verfasste. „Jeden Tag kommen die Tränen, ich habe so viele Fragen, die ich meinen Kindern noch stellen möchte, aber es gibt sie nicht mehr.“
Wie ein Roboter erzählt Baharuddin von den Minuten, als die Welle sein Dorf erreichte und das Leben zerstörte, wie er es samt seinen Nachbarn kannte. Er rattert die Sätze herunter, als er von der Tochter erzählt, die in seinen Armen starb. „Das Gedicht habe ich damals gebraucht, um die Tragödie zu verarbeiten.“