Erlangen. Jurastudenten am Anfang ihrer Ausbildung würden die Todesstrafe wieder einführen. Laut einer Studie wächst bei ihnen der Wunsch nach höheren Strafen.
Es ist paradox: Die Zahl der Morde und Totschläge sinkt in Deutschland seit Jahren. Die Leute fühlen sich so sicher wie fast nie zuvor. Und dennoch wächst bei jungen Jurastudenten der Wunsch nach immer härteren Strafen. Ein Drittel von ihnen befürwortet laut einer Studie sogar die Todesstrafe. Etwa gleich viele finden, dass selbst eine lebenslange Haft bei manchen Straftaten noch zu mild ist. Und die Hälfte der Befragten würde einen Verdächtigen foltern, wenn damit ein Menschenleben gerettet oder die Allgemeinheit beschützt werden könnte.
Für seine Langzeitstudie hat der Erlanger Jura-Professor Franz Streng zwischen 1989 und 2012 etwa 3100 Jurastudenten befragt, die gerade mit ihrem Studium begonnen hatten. "Das sind Ausbildungsanfänger, die noch durch die Schule, ihr Elternhaus und die Medien in ihren Ansichten geformt sind", sagt Streng.
Zahl der Gewalttaten nimmt seit 2007 ab
Die befragten Studenten schätzten das Risiko, selbst Opfer eines Angriffs zu werden, im Lauf der Jahre als immer geringer ein. Gleichzeitig würden sie für ein bestimmtes Delikt heute deutlich höhere Strafen verhängen als früher. Dies zeigte sich an einem fiktiven Beispiel: Ein Totschlag im Affekt nach der Trennung eines Pärchens. Wurden 1989 im Schnitt noch etwa sechs Jahre Haft als angemessene Strafe betrachtet, waren es 2012 fast neuneinhalb Jahre.
Mit Blick auf die Kriminalstatistik lässt sich dies nicht erklären. Demnach sinkt seit 2007 die Zahl der Gewalttaten. "Das Bemerkenswerte ist, dass die ganz schweren Straftaten in Deutschland langfristig immer weiter abgenommen haben", sagt Streng. "Die Befragten fühlen sich heute so sicher wie kaum jemals." Und dennoch werden von den angehenden Juristen höhere Strafen gewollt.
Hohe Strafen verhindern keine Straftaten
Vor 37 Jahren wollte mehr als ein Drittel der Jura-Anfänger die lebenslange Freiheitsstrafe ganz abschaffen, weil sie als zu hart empfunden wurde. Heute wollen das nur noch zwei Prozent. Die Todesstrafe wurde 1977 von knapp 12 Prozent der Befragten befürwortet. Vor vier Jahren dagegen wollte sie jeder dritte Student zurück.
Einen weiteren Punkt gibt Streng zu bedenken: "Wir wissen inzwischen, dass hohe Strafen gar keinen Sinn haben." Sie helfen demnach weder bei der Resozialisierung noch verhindern sie Straftaten. Eine Strafe müsse vor allem angemessen sein und dürfe die Straftat nicht bagatellisieren. "Aber sie soll zugleich Rücksicht nehmen auf das künftige Leben des Bestraften. Und unter diesen Aspekten bereitet mir die Entwicklung unter den jungen Leuten Sorgen."
Einführung der Todesstrafe nach EU-Recht nicht möglich
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Der Professor meint: "Junge Juristen werden für das Strafrecht nicht hinreichend ausgebildet. Sie lernen zwar sehr gut das Strafrecht als Solches, aber sie erhalten nicht die notwendigen Kenntnisse aus Psychologie, Soziologie und Psychiatrie." Die meisten wüssten daher nicht, was sie von der Wirksamkeit einer Strafe erwarten können. Streng plädiert daher dafür, dass angehende Richter und Staatsanwälte eine verpflichtende Ausbildung in Kriminologie bekommen.
Ihn habe überrascht, dass der Wunsch nach höheren Strafen zum Teil so dramatisch angestiegen sei, sagt Streng. "Die Todesstrafe ist aber letztlich eine fiktive Geschichte, weil sie durch unsere Verfassung abgeschafft ist, und zugleich über internationale Verträge etwa im Rahmen der EU überhaupt nicht dran zu denken ist, dass man sie wieder einführt."
Streng glaubt, dass heute mehr an die Opfer gedacht wird. "Die Opferorientierung ist sehr sinnvoll im Strafrecht und sie ist früher vernachlässigt worden. Sie hat aber auch problematische Nebenwirkungen", sagt Streng. "Wer sich abstrakt für Opferbelange stark macht, der neigt zu hohen Strafen."
In der Praxis hängt das Urteil von der Persönlichkeit des Richters ab
Ein zweiter Erklärungsansatz: "Die Medien mit ihrer exzessiven Betonung von "Crime" - also Sendungen, die man als kriminalistisch bezeichnen kann." Dies führe zu einer "allgemeinen Verunsicherung". Die Fülle der Sendungen habe aber mit der Realität nichts zu tun. "Wer sehr viele Kriminalfilme anschaut, der ist eher geneigt, höhere Strafen zu verhängen", sagt Streng.
Im Berufsleben gibt es nach Angaben des Deutschen Richterbundes letztlich jedenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Juristen. In der Praxis sei "zwischen älteren und jüngeren Kollegen kein Unterschied bezüglich der Höhe der beantragten oder verhängten Strafen erkennbar", sagte Stefan Caspari, Strafrechtsexperte des Richterbundes. "Strengere und mildere Richter gibt es in allen Altersgruppen - dies hängt ausschließlich von der Persönlichkeit ab." (dpa)