Düsseldorf/Essen. . Gesundheitsminister Bahr setzt auf Wohngruppen und erntet von Wohlfahrtsverbänden dafür scharfe Kritik. Die Landesregierung will Heime modernisieren - und sparen wollen ohnehin alle.
Es ist die mangelnde Kontrolle, die Eugen Brysch so aufbrausen lässt. Die Anonymität. Wohngruppe statt Heim – für den Chef der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung ist die kleine Einheit nicht unbedingt die bessere Alternative für den pflegebedürftigen Menschen. So erzählt er von der Realität, die er kennen gelernt hat – in Essen, in Berlin, in den Trabantenstädten und Elendsvierteln der Republik. Dort lebten alte, kranke, demente Menschen „ohne qualifiziertes Personal, ohne Arbeitszeitregelung, ohne staatliche Aufsicht am Rande der Legalität“.
Bei Daniel Bahr, dem liberalen Berliner Gesundheitsminister, klingt das ganz anders. Er will, sagt er, Menschen mit neuen Wohnformen das Heim ersparen, die noch nicht so weit seien, dass sie eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung brauchten. 30 Millionen Euro für Umbauten wie behindertengerechte Badezimmer will er bereit stellen, 20 000 Euro könne eine 4-köpfige Wohngruppe dann bekommen – und 3400 Euro monatlich an Sach- und Geldleistungen.
„Jeder kann schon heute eine Wohngruppe gründen“
Auch diese Finanzspritze hält Brysch für Schaumschlägerei. „Jeder kann schon heute eine Wohngruppe gründen und je nach Pflegestufe Leistungen bekommen“, sagt er und zitiert das Sozialgesetzbuch XI, § 40 zum Thema Wohnumfeldverbesserung. Demnach stünden jedem schon heute 2557 Euro für Umbauten zur Verfügung – mitunter auch mehrfach, wenn etwa das Badezimmer zunächst Rollatorgerecht sein muss und einige Zeit später auch für Rollstuhlfahrer passierbar sein soll.
Was Daniel Bahr als Verbesserung für die Pflegebedürftigen verkaufe, sei im Prinzip nichts weiter als eine Sparmaßnahme. Den Verdacht hat auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, der im „Hamburger Abendblatt“ davor warnte, den Ausbau von Pflege-WGs insgeheim mit dem Ziel der Kosteneinsparung betreiben zu wollen. „Auch in den Heimen gibt es einen großen Reform- und Finanzbedarf, um auch künftig allen Menschen eine passgenaue Pflege anbieten zu können“, sagte Schneider. Bahrs Initiative könne kein Ersatz sein für die notwendige umfassende Pflegereform, „die die Koalition bereits vor zwei Jahren angekündigt hat“.
In der Tat streitet der Gesundheitsminister gar nicht ab, mit der Förderung von „Pflege-WGs“ langfristig Kosten zu sparen, weil „weniger Leute in die teure Heimpflege gehen müssen.“
Wohnortnah versorgen, beraten
Die NRW-Regierung hat zwar auch „Pflege-WGs“ und „alternative Strukturen“ im Sinn, will wohnortnah versorgen, mehr beraten und die ambulanten Dienste stärken – damit, wie Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) es formuliert, „Menschen so lange wie möglich zu Hause und in der vertrauten Umgebung leben können.“
Doch auch die Pflegeheime sollen moderner werden, heißt es im vom Landeskabinett verabschiedeten Eckpunktepapiers. 2018 sollen 80 Prozent der Bewohner in Einzelzimmern leben. Zum Abbau des Investitionsstaus bei Modernisierungen werden die Abschreibungsmöglichkeiten für Pflegeheime wieder von zwei auf vier Prozent pro Jahr erhöht.
Um die Umstrukturierung zu meistern, überarbeitet Rot-Grün das Wohn- und Teilhabegesetz gleichzeitig mit dem Landespflegegesetz. Für einen Landesförderplan zur Unterstützung der Senioren-Arbeit stellt NRW 8,2 Millionen Euro pro Jahr bereit. Die Zeit für Reformen drängt. Allein die Zahl der Demenzkranken in NRW wird sich von heute 250 000 bis 300 000 bis zum Jahr 2050 voraussichtlich verdoppeln.