Hannovers Ersatztorwart Markus Miller begibt sich wegen „mentaler Erschöpfung“ in stationäre Behandlung. Nach dem Selbstmord von Robert Enke holt den Verein die Vergangenheit ein. 96-Präsident Martin Kind lobt den Mut des 29-Jährigen.
Auf die bohrenden Fragen waren sie bei Hannover 96 gut vorbereitet. Wieder ein Torhüter? Wieder Depressionen? Knapp zwei Jahre nach dem Selbstmord von Robert Enke holen den Fußball-Bundesligisten die tragischen Ereignisse aus dem Herbst 2009 wieder ein.
Ersatztorwart Markus Miller erklärte in einer bemerkenswerten schriftlichen Stellungnahme, dass er sich wegen „mentaler Erschöpfung“ in stationäre Behandlung begeben hat. Der 29 Jahre alte Familienvater wählt damit einen völlig anderen Weg als einst Enke: Der Nationaltorwart hatte seine Depressionen geheim gehalten und am 10. November 2009 Selbstmord begangen.
Als 96-Präsident Martin Kind gestern die Öffentlichkeit informierte, war ihm die Schwere von Millers Entscheidung entsprechend bewusst. „Dieser Schritt ist ein großes Zeichen von Mut. Markus Miller hat in einem Klub, der ein furchtbares Erlebnis mit einem persönlichen Schicksal durchgemacht hat, bewusst den Gang an die Öffentlichkeit gewählt und klare Fakten geschaffen. Sein Entschluss verdient allerhöchsten Respekt“, sagte Kind.
Rolle des Ersatzmanns
Nach langem Schweigen hatte sich der 29-Jährige entschlossen, seinen Arbeitgeber und auch die Öffentlichkeit über seine Probleme zu informieren. „Seit meiner Profizeit als Torhüter arbeite ich mit Hochdruck daran, engagiert und immer mit vollem Einsatz meine Leistungen auszubauen, zu optimieren und auf höchstem Niveau zu halten“, heißt es in einer Pressemitteilung, die Miller zitiert. „Seit einiger Zeit habe ich immer seltener das Gefühl, dass ich der Mannschaft wirklich helfe oder etwas Wesentliches bewirke“.
Reaktionen zu Enkes Tod
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Für Rückfragen steht der Familienvater, der beim Gelsenkirchener Arzt und Psychotherapeuten Martin Braun in Behandlung ist, nicht zur Verfügung.
So lässt der Blick auf die wechselhaft verlaufene Karriere des Markus Miller nur erahnen, dass auch die Unzufriedenheit sein ständiger Begleiter gewesen sein dürfte. 2007 hatte sich der Schlussmann im Trikot des Karlsruher SC das hintere Kreuzband gerissen, was ihm den Weg zu besseren Adressen im Fußball vorerst verbaute. Mit seinem Wechsel zu Hannover 96 im Sommer 2010, ein halbes Jahr nach dem Tod von Robert Enke, sollte ein Weg der Besserung und Stabilisierung gelingen. Aber Miller kam nie über den Status des Reservisten hinaus. Nach Florian Fromlowitz, der zunächst die neue Nummer 1 im Tor der Niedersachsen war, hat sich gerade der erst 22 Jahre alte Ron-Robert Zieler gegen ihn durchgesetzt. Miller hat noch keinen einzigen Bundesliga-Einsatz für Hannover absolviert.
Dass der Torwart unter seiner Rolle als Profi ohne realistische Einsatzchance besonders zu leiden hatte, verweisen die Verantwortlichen von Hannover 96 in den Bereich von Spekulationen. Die Gespräche mit ihm hätten vielmehr ergeben, dass der beim VfB Stuttgart groß gewordene Schlussmann seine Probleme schon längere Zeit mit sich herumgetragen habe.
Umso mehr bemühen sich die Klub-Verantwortlichen, den Torwart in seinem Umgang mit den Krankheitssymptomen zu stärken. Von der Verpflichtung eines Ersatzmannes für den verhinderten Ersatzmann etwa wollen die Niedersachsen vorerst Abstand nehmen. „Wir stärken und schützen ihn, weil er sich mit aller Offenheit seinen psychischen Schwierigkeiten stellt, die unverändert in unserer Gesellschaft als Tabu-Thema behandelt werden“, sagte Sportdirektor Jörg Schmadtke. Trainer Mirko Slomka bezeichnete Millers Verhalten als „imponierend“.
Lob von Löw
Enkes Karriere
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Sogar aus Danzig kam eine Stellungnahme. Bundestrainer Joachim Löw begrüßte Millers Entscheidung. „Das ist der absolut richtige Schritt“, sagte der Bundestrainer. „Dass er an die Öffentlichkeit geht, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich finde, es ist eine gute Entscheidung.“
Bei Hannover 96 hofft man, den Menschen Markus Miller, dessen Familie und die aktuellen 96-Spieler vor erneuter Aufregung zu bewahren. Präsident Martin Kind etwa bat die Medien am Montag um die nötige Zurückhaltung. Doch als der 67-Jährige einen kleinen Kreis von Medienvertretern in einem Konferenzraum neben dem Stadion über die Situation von Markus Miller informierte, hatten sich vor diesem bereits Kameraleute versammelt, um durch die Jalousien interessante Bilder zu erhaschen.
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