Krefeld. . Zum ersten Mal muss sich der mutmaßliche Mörder des zehnjährigen Mirco aus Grefrath der Öffentlichkeit stellen. Doch er schweigt vor Gericht. Denn „er findet keine Worte“, sagt sein Anwalt. Doch fest steht: Es geht nicht um das Ob. Nur um die Höhe der Strafe.

Der Mörder ist ein freundlicher Mann. Er lächelt so nett, wenn er angesprochen wird; und schon bei der Polizei hat er sich am Ende einer jeden Vernehmung artig bedankt – für den Kaffee und weil man ihm zu essen gab. Er hat sich auch ordentlich angezogen: dunkler Anzug, graues Hemd, vielleicht die Krawatte etwas zu bunt für den Anlass.

Die Bilder, die es nun von ihm gibt, sind indes andere; für die Fotografen haben sie ihm eine Kappe aufgesetzt und eine große Sonnenbrille, so sieht er tatsächlich etwas unheimlich aus. Und womöglich sind sie das ja: die zwei Gesichter des Olaf Markus Wilhelm H. aus Schwalmtal, dreifacher Familienvater, netter Nachbar, der über sich selbst tatsächlich diesen Satz gesagt hat: „Ich hatte das Gefühl, vor mir brauchte er keine Angst zu haben.“ Doch nun angeklagt, den kleinen Mirco überwältigt, missbraucht, erdrosselt zu haben.

Keine Emotion

Was H. an diesem ersten Prozesstag am Landgericht Krefeld zumindest nicht mehr bestreitet. Es hatte schon wieder Gerüchte gegeben, genährt auch von seinem Anwalt: Ein Geständnis im Sinne der Anklage werde es nicht geben. Aber dann sagt dieser Gerd Meister im Namen seines Mandanten, sie sei „im wesentlichen richtig“. Da sehen sie hinüber zu ihm, die vielen Zuschauer, die 40 Presseleute und ganz hinten in der Ecke der Leiter der Soko Mirco, Ingo Thiel, der am Morgen gesagt hat, dieser Fall sei „das Emotionalste gewesen, das wir je erlebt haben“. Aber sie sehen keine Emotion. Olaf H. sitzt und schaut aufmerksam unter seinem Stoppelschnitt hervor; die Schultern hängen ein wenig, aber das tun sie wohl immer.

Und er sagt nichts. Kein Mauern sei das, beteuert Meister, „er findet keine Worte“. Der 45-Jährige werde die Verantwortung übernehmen für eine „Entgleisung“, die für ihn selbst schwer nachzuvollziehen sei. „Aber er will wenigstens den Eltern Gewissheit geben.“ Entschuldigen aber werde Olaf H. sich nicht: „Weil es keine Entschuldigung gibt“, die Tat sei „unentschuldbar“. Und: „Wenn man nichts sagen kann, sollte man schweigen.“

Mit einer Schnur erwürgt

145 Tage lang hat Olaf H. das getan, von jenem 3. September, einem Freitag, an, bis zu einem Morgen Ende Januar, als die Soko vor seiner Tür stand und ihn holte. Hat gehört, wie die Menschen redeten über den vermissten Zehnjährigen, hat in der Zeitung darüber gelesen und doch geschwiegen über das, was er besser weiß als Staatsanwältin Silke Naumann, aus deren Mund es so behörden-kalt klingt: Wie er sich „des Kindes bemächtigte“ auf einer Landstraße bei Grefrath, wie er es in sein Auto lud, die Rücklehne um- und eine Decke auslegte, wie er Mirco auszog und „sexuelle Handlungen vornahm“ an seinem Opfer, „in Klammern: Kind“. Das er schließlich erwürgte mit einer Schnur.

Einzig, dass er das tat, weil er keine Befriedigung erfuhr, sei „unrichtig“, lässt der Verteidiger wissen. Er habe vielmehr gemerkt, „das war überhaupt nicht sein Ding“ und also „getötet, um die Tat zu verbergen“ – juristisch ein klassisches Mordmerkmal. Auch dass er der Leiche noch ein Messer in den Hals rammte, stimme nicht. Der Rest: „einfach schrecklich“, aber leider wahr.

So klar hat Olaf H. das nicht immer gesagt seit seiner Festnahme vor einem knappen halben Jahr. Und weil er sich nun gar nicht mehr äußert, liest der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer aus den Vernehmungs-Protokollen vor. Frage, Antwort, Frage, Antwort, Herbert Luszak macht das wie bei einer Gute-Nacht-Geschichte, nur war es keine gute Nacht. Zwischendurch fragt er den Angeklagten: „Haben Sie das so gesagt?“ Und H. nickt.

Häppchenweise Details

Bemerkenswert, dass er das noch weiß, denn es war beinahe täglich etwas anderes. Einmal will der Mann, der damals eben erst Urlaub hatte und daheim ein krankes Kind, den halbnackten Mirco am Straßenrand gefunden haben. Gern hätte er ihm geholfen, „aber ihm war nicht mehr zu helfen“. Dann gibt es eine wüste Version, in der sich die beiden bei einer Pinkelpause begegnen und Mirco scheinbar grundlos schreit, worauf H. ihm die Hand auf den Mund legt und plötzlich einen leblosen Jungen im Schoß hat. Nur häppchenweise lieferte der Mann den Ermittlern mehr und mehr schmutzige Details.

Allerdings enden die Geschichten immer gleich: mit dem toten Mirco, den Olaf H. zu einem Feld bringt, weil „den kleinen Jungen nicht allein im dunklen Wald zurücklassen kann“. Er legt ihn auf den Rücken, faltet seine Hände, nennt ihn „Mike“ und nimmt weinend Abschied. Er will sogar gebetet haben. An dieser Stelle blitzte in den Vernehmungen offenbar Gefühl auf. „Ich habe zwei Familien zerstört“, zitiert Luczak aus den Protokollen, „bei Familie Schlitter fehlt jetzt einer am Tisch.“

„Maximale Macht, die ich ausüben konnte“

Auch ein Überlegenheitsgefühl gestand der Verdächtige gegenüber der Polizei ein: „Endlich mal einer, der macht, was ich sage.“ Von Erniedrigung sprach er da und von „maximaler Macht, die ich ausüben konnte“. Aber auch von Scham: „Es fühlte sich irgendwie alles falsch an.“ Trotzdem oder gerade deshalb habe den Jungen „nicht mehr laufen lassen können“. In der Akte heften daher auch: Zeichnungen vom Auto, vom Waldweg und von den Knoten, die der Mörder in das Kabel knüpfte, das er Mirco um den Hals legte.

Als Zuschauer versucht man sich da vorzustellen, Olaf H. würde reden und nicht Richter Luczak, dem das rheinische Idiom so völlig fehlt. Vielleicht passt da eher die Stimme des Gutachters Martin Albrecht, der in der fünften Stunde des Prozesstages die mindestens fünfte Version von Mircos letzten Stunden vorträgt. Sie stammt aus dem Februar, und in ihr schwört der Angeklagte beim Leben seiner Tochter, den Jungen doch wieder nicht missbraucht zu haben. Im Saal entsteht Unruhe, plötzlich aber nickt H. nicht mehr. Er weint. „Es bleibt dabei“, rückt Verteidiger Meister entschlossen die Dinge zurecht: „Von dieser Aussage nehmen wir ausdrücklich Abstand.“

Es geht hier nicht mehr um das Ob. Nur noch um die Höhe der Strafe.