Krefeld. .

Mirco S. aus Grefrath wurde nur zehn Jahre alt, 145 Tage nach seinem Verschwinden fand die Polizei seine Leiche. Jetzt muss sich Olaf H. vor dem Landgericht Krefeld wegen Mordes, sexuellen Missbrauchs und Freiheitsberaubung verantworten.

145 Tage haben sie ihn gesucht, sieben Tage in der Woche, auch zu Weihnachten. Polizisten durchstreiften den Niederrhein, 1000 und mehr, so viele wie noch nie; Familien bangten vor dem Fernseher, zu Hause beteten seine Eltern – doch am Ende fand man ihn nur noch tot. Mirco. Mirco S. aus Grefrath wurde bloß zehn Jahre alt, obwohl das Land an seinem 11. Geburtstag noch hoffte. Jetzt steht sein Mörder vor Gericht.

Sein mutmaßlicher, muss man noch sagen, aber der Mann hat es zugegeben: Er habe Mirco umgebracht. Olaf H., 45, so steht es nun in der Anklage, griff am Abend des 3. September vergangenen Jahres das Kind von seinem grünen Rad, missbrauchte es, erwürgte es mit einem Kunststoffband und stach auch noch mit einem Messer in seinen Hals. Dann warf er den Zehnjährigen ins Feld, wenige Meter nur außerhalb des Bereichs, den Beamte wochenlang immer wieder durchkämmt hatten.

So liest der Staatsanwalt es vor dem Schwurgericht; es tagt in Krefeld, kaum 20 Kilometer entfernt von Grefrath und nicht viel mehr von Schwalmtal, wo Olaf H. wohnte: der Typ netter Nachbar, „Biedermann“, schrieb eine Zeitung, Vater von drei Kindern, Liebhaber seines Gartens. Hierher soll er nach der Tat gefahren sein, als wenn nichts gewesen wäre, unterwegs Mircos Kleider aus dem Wagen geworfen haben. Seine Frau, heißt es, sei nun fortgezogen und habe die Scheidung eingereicht.

Mirco war „ein absolutes Zufallsopfer“

Am Landgericht haben sie den großen Saal gewählt für die Verhandlung, in der es um mehr geht als um Mord: um Freiheitsberaubung, sexuellen Missbrauch von Kindern und sexuelle Nötigung. Vorläufig ist bis September terminiert, 15 Tage, mit bislang rund 40 Zeugen. Die meisten kommen aus dem Umfeld des Angeklagten; sie sollen klären helfen, wieso das alles geschah, wie einer so etwas tun kann, was dieser H. für einer ist. Aber auch Mircos Mutter wird aussagen, die Frau, die am 25. September unter Tränen in die Fernsehkameras flehte: „Gib uns bitte unser Kind zurück!“

Es ist damals viel geredet worden über diese Frau S., die erst recht spät bemerkt hatte, dass ihr Sohn vom Spielen nicht nach Hause gekommen war. Und die dann auffiel durch ihre Stärke: Die Familie, fest verankert in einer freikirchlichen Gemeinde, fand Halt im Glauben und sogar besonnene Worte für den Täter. In einem bewegenden Brief tröstete sie sogar die Besucher des Trauergottesdienstes für Mirco im Februar. Im Prozess lassen sich die Eltern als Nebenkläger vertreten, werden selbst aber zunächst nicht erscheinen.

Ohnehin kann kein Prozess der Welt den Eltern ihr Kind wiedergeben, aber eines könnte er ihnen erklären: warum. Denn Mirco, das sagte die Polizei damals gleich, war wohl ein „absolutes Zufallsopfer“. Olaf H. habe irgendjemanden gesucht, bei dem er „sich endlich mal als der Stärkere fühlen konnte“, erklärte der Leiter der Soko Mirco, Ingo Thiel, nach der Festnahme. In seinem ersten Geständnis, dem weitere Versionen folgten, hatte der Telekom-Mitarbeiter den Ermittlern von Stress im Job erzählt: Es habe einen heftigen Streit mit seinem Chef gegeben, danach sei er aufgebracht und ziellos umhergefahren. Nur stellte sich bald heraus: Anfang September weilte der genannte Vorgesetzte im Urlaub.

Olaf H. den Fahndern im Januar selbst den Weg zur Leiche gezeigt

15 Verhandlungstage anberaumt

Die Schwurgerichtskammer am Landgericht Krefeld tagt unter Vorsitz von Herbert Luczak und hat für den Prozess zunächst 15 Tage anberaumt. Danach könnte ein Urteil am 30. September fallen. Das aber hängt stark vom Verlauf der Verhandlung ab, zu der bislang rund 40 Zeugen geladen sind. Und von der Einlassung des Angeklagten: Der ließ bereits verlauten, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die ihn wegen Mordes, Freiheitsberaubung, sexuellen Missbrauchs und sexueller Nötigung angeklagt hat, nicht einräumen zu wollen.

Inzwischen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, der Angeklagte sei wohl erzürnt gewesen über eine ausgebliebene Erektion; getötet habe er Mirco aber auch aus Angst vor Entdeckung. Was der 45-Jährige vor Gericht aussagen wird und ob überhaupt, ist offen. Vor wenigen Tagen bestätigte Verteidiger Gerd Meister, sein Mandant werde „kein Geständnis im Sinne der Anklage“ ablegen. Ein Widerruf?

Dabei hatte Olaf H. den Fahndern im Januar selbst den Weg zur Leiche gezeigt. Nach Monaten der vergeblichen Suche war es letztlich das Auto des Mannes gewesen, das die Ermittler nach Schwalmtal führte. Der dunkle Passat war am Rande von Mircos Heimweg gesehen worden; als er versuchte, ihn ins Ausland zu verkaufen, griff die Polizei zu. Und lag richtig: Faserspuren an Mircos Leiche, in mühevoller Kleinarbeit der Sonderkommission analysiert, deckten sich mit dem Stoff der Autositze. Und fremdes Genmaterial, gefunden am Körper des Kindes, gehörte H.

In den Monaten nach dessen Verhaftung hat die Kripo im ganzen Land weiter gesucht. Denn Soko-Chef Ingo Thiel mag nicht glauben, dass Mirco das einzige Opfer des Außendienstlers war, der schließlich viel herumkam. Thiel wird auch deshalb den Prozess beobachten – und das Verhalten des Angeklagten. Der fühle sich „miserabel“, ließ sein Anwalt kürzlich wissen, er empfinde „starke Reue“ sowie Mitgefühl mit der Familie. Interessant zu sehen, ob er vor Gericht etwas davon zeigt.