Duisburg. .

Die Linke distanziert sich von einem antisemitischen Flugblatt, das auf einer Webseite entdeckt wurde. Doch in der Duisburger Szene tobt ein Kulturkampf - gerade auch in Bezug auf die Israel-Frage, sagt ein Experte.

„Es ist ... an der Zeit, den wahren Schurkenstaat und Kriegstreiber zu benennen:“ Israel! Dazu ein Davidstern, der sich zu einem Hakenkreuz verformt. Das ist der Kern des antisemitischen Flugblatts, das am Mittwoch, wie berichtet, auf einer Internetseite der Duisburger Linken entdeckt wurde, wo es nach ersten Erkenntnissen seit Anfang des Jahres schlummerte. Der Partei wurden jüngst immer wieder antisemitische Tendenzen unterstellt – und so setzte das Duisburger Pamphlet zuverlässig eine bundesweite Erregungsspirale in Gang.

Die Fernsehteams von RTL, Sat.1 und WDR geben sich am Donnerstag im Stadtteil Hochfeld die Klinke in die Hand. In einer kleinen Seitenstraße liegt dort die Kreisgeschäftsstelle. Im Stundenrhythmus gibt Pressesprecher Horst Werner Rook Interviews, um zu dementieren, dass seine Partei antisemitische Haltungen vertrete. Und auch alle anderen Ebenen – im Land, im Bund – distanzieren sich zuverlässig.

Der Fraktionschef der Linken in NRW, Wolfgang Zimmermann, nennt das Flugblatt ein „Neonazi-Pamphlet“ und versteigt sich zu der These, dass man es hier mit einem Hacker-Angriff von rechts zu tun haben könne. Die Verteidigung in Duisburg setzt einen anderen Schwerpunkt: Hier spricht man von einem „fälschlich veröffentlichten Papier“. Es wurde auf einer Unterseite der Parteijugend Solid entdeckt, und Sprecher Rook führt aus, man habe der unabhängigen Organisation den Platz zur Verfügung gestellt und sich nicht weiter gekümmert. Sollte man den Verantwortlichen nicht selbst finden, werde man Anzeige erstatten. Doch Anzeigen wegen Volksverhetzung sind längst eingegangen, 16 bis zum Donnerstagnachmittag, und die Kreisvorsitzende der Duisburger Linken, Ute Abraham, sieht sich plötzlich selbst im Fokus einer Ermittlung.

Die Linke und Israel – ein kompliziertes Verhältnis

Foto: Hayrettin Özcan / WAZ FotoPool
Foto: Hayrettin Özcan / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Die Linke und Israel – ein kompliziertes Verhältnis. Israel – ein Apartheidstaat, der die Palästinenser terrorisiert und demütigt. Die Raketen der Hamas – ein gerechtfertigter Widerstand. Diese Sicht ist durchaus verbreitet.

Als Israels Präsident Shimon Peres im Januar 2010 im Bundestag eine Rede zum Gedenken an den Holocaust hielt, blieben die linken Vertreter sitzen. Als kurz darauf die umstrittene „Free Gaza Flottille“ von israelischen Soldaten gestoppt wurde – es gab 15 Tote –, waren Bundestagsabgeordnete der Partei an Bord. Der linke Oberbürgermeisterkandidat von Duisburg, Hermann Dierkes, musste 2009 zurücktreten, nachdem er das Existenzrecht Israels als „läppisch“ bezeichnet und zum Boykott aufgerufen hatte.

Wo verläuft die Grenze legitimer Kritik am Staat Israel, wo schürt die Kritik undifferenziert Hass auf ein ganzes Volk, leugnet den Holocaust? Auch der NRW-Sprecher der Parteijugend Solid, Hannes Dräger (27), nennt das Flugblatt einen „antisemitischen Aufruf“ – und distanziert sich: „Wir engagieren uns seit Bestehen des Verbandes gegen Antisemitismus. Als die Nazis in Dortmund demonstrierten, haben wir eine Blockade betrieben.“

Wie bei Monty Python

Viel „Anti“ bei den Linken

In der linken Ideologie gibt es vier extreme Positionen. Mit dem Antifaschismus können sich viele Anhänger identifizieren. Er bezeichnet den Kampf gegen faschistische Tendenzen. Die Antifaschistische Aktion (Antifa) bekämpft zudem rechtsextreme Aktivitäten. Vereinzelt gibt es aber auch Antiisraelismus. Dies ist die Ablehnung des Israelischen Staates, die teilweise mit Antikolonialismus begründet wird. Antikolonialismus bezeichnet die Annahme, dass Israel wie die USA, das Hauptfeindbild der Linken, eine Kolonialmacht ist, die Palästina zu unrecht besetzt. Zudem gibt es auch Antisemitismus in der Linken, der für eine generelle Ablehnung des jüdischen Glaubens und des Judentums steht.

Doch auch wenn offiziell noch geprüft wird, woher das Blatt stammt – unplausibel ist es nicht, dass es aus der linken Jugendszene kommt: Zumindest in Duisburg präsentiert sich das Milieu extrem gespalten, es geht zu wie in Monty Python’s „Leben des Brian“: „Judäische Volksfront? Quatsch! Wir sind die Volksfront von Judäa!“ Es gibt die pro-israelische Uni-Gruppe Campus Watch UDE. Die Rote Antifa mit Zentrum im Duisburger Norden dagegen läuft gern bei israelfreundlichen Vorträgen auf, um diese zu stören. Da werden Redner mit Laserpointern geblendet oder Prügel angedroht, wie ein Kenner der Szene berichtet.

Es gibt einen Verein namens Initiativ e.V., der 2006 im Verfassungsschutzbericht auftauchte und Spenden sammelte für den „irakischen Widerstand“. Also für den Kampf gegen die „amerikanischen Besatzer“. Und die Antifaschistische Jugend ist aufgegangen im israelfreundlichen Antifaschistischen Kollektiv – weil die Rote Antifa Mitglieder als rassistisch diffamiert habe, so findet man es jedenfalls auf der alten Internetseite.

Man muss sich all diese Namen nicht merken, sie wechseln zu schnell. Aber festzuhalten sind zwei Dinge: In der Partei selbst tobt ein Kulturkampf. Und „gerade in Duisburg herrscht in Bezug auf die Israel-Frage eine radikalere Atmosphäre als in anderen Städten“, sagt der Szenekenner. „Das mag am höheren Anteil von Migranten liegen. Oder sie fühlen sich im Duisburger Umfeld mit extremeren Positionen gut aufgehoben.“