Essen/Dortmund. .

Kein Chef, kein Dienstbeginn, keine seltsamen Kollegen – Freiberufler kennen die Sorgen eines Festangestellten nicht. Doch trotz aller Freiheit sehnen sich viele Freelancer nach ein bisschen Bürospießigkeit. Die bekommen sie in sogenannten Coworking-Spaces. Dort kann man tage- , wochen- oder monateweise einen Schreibtisch mieten. Die Kollegen gibt es gratis dazu.

Einzelkämpfer sein kann manchmal ganz schön einsam machen. Da sitzt man im heimischen Arbeitszimmer, lauscht auf das Rauschen der Laptoplüftung und die Ideen wollen einfach nicht kommen. Dagmar Grotendorst kennt noch andere Probleme, die sich mit einem Home-Office ergeben: “Zu Hause lasse ich mich zu oft ablenken durch Telefon, Familie und diverse andere organisatorische Arbeiten. Auch das Gefühl, das Haus zu verlassen, und die Fahrt zum Arbeitsplatz schaffen inneren Abstand zur Familie.” Und auch Unternehmensberater Florian Boehr ist sich sicher: „Allein arbeiten ist der einfachste Weg, sich von wirklich allem und jedem ablenken zu lassen.“ Die beiden klappen daher ein paar Tage in der Woche ihre Laptops im Düsseldorfer Coworking-Space GarageBilk auf. Damit sind sie - im wahrsten Sinne des Wortes - in guter Gesellschaft.

13 Euro für einen Arbeitstisch pro Tag

Das Coworking-Prinzip ist einfach und doch genial. Für eine beliebig lange Zeit können sich die Freiberufler in ein Großraumbüro einmieten. Dort steht ihnen ein Schreibtisch mit Internet- und gegebenenfalls Telefonanschluss zur Verfügung. Alles andere wie ein Schließfach, ein eigener Briefkasten oder eine Kaffee-Flatrate können sie nach Bedarf dazubuchen. Und das ist günstiger als jede andere Büroform, wie das Online-Magazin Deskmag jetzt herausgefunden hat. In NRW zahlen Coworker im Durchschnitt 13 Euro für einen Arbeitstisch pro Tag und zwischen 182 und 215 Euro für eine Monatsmiete.

Das liebe Geld ist aber nicht der Hauptgrund, warum sich Selbstständige in Coworking-Spaces einnisten. Unbezahlbar sind nämlich die ganzen Kontakte, die man dort knüpfen kann. Für den Kommunikationsdesigner Daniel Koening liegen die Vorteile von Coworking auf der Hand: “Sozialer Austausch und fächerübergreifendes Lernen funktioniert besser mit heterogenen Gleichgesinnten als im akademischen Elfenbeinturm oder der Dachkammer des Poeten.” Sprich: Gemeinsam ist man kreativer und produktiver. Zu dieser Erkenntnis kommen immer mehr Einzelkämpfer, die ihre Isolation satt haben. Coworking boomt.

Der neueste Coworking Space: Dortmund

Allein in NRW gibt es mittlerweile zehn solcher Großraumbüros mit insgesamt 330 Tischen. Sechs Coworking-Spaces sind in Planung und sollen noch dieses Jahr eröffnet werden. Die neueste Bürogemeinschaft am Schwanenwall in Dortmund öffnete am Dienstag (19. April. 2011) die Pforten.

Das erste Coworking-Space in Düsseldorf hat mit der GarageBilk im November 2010 eröffnet.
Das erste Coworking-Space in Düsseldorf hat mit der GarageBilk im November 2010 eröffnet.

“Seit ungefähr vier Wochen kommt das Ganze richtig ins Rollen”, freut sich Yvonne Firdaus, die Betreiberin der GarageBilk. Eröffnet hat der erste Coworking-Space in Düsseldorf im November 2010. Neun Einzelkämpfer hatten sich damals zusammengetan, um gemeinsam ein flexibles Großraumbüro zu gründen. Alleine kann man so ein Projekt nämlich gar nicht stemmen. Firdaus: “Man braucht so viele Fachkompetenzen und Leute, um den Tagesablauf hier zu regeln. Alleine macht das keinen Sinn.” Mit dem richtigen Team kann ein Coworking-Space aber sehr erfolgreich werden.

Coworking-Plätze sind vielfältig. Von der spartanisch eingerichteten Halle mit Schreibtischen bis hin zur Rundum-Familienversorgung mit Sauna im Keller gibt es alles, was der kreative Kopf begehrt. In die Kölner „Zeiträume“ kann man den Nachwuchs mitbringen und ihn tagsüber fachmännisch betreuen lassen. Gerade in solchen sozialen Angeboten liegen laut Stefan Rief vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart die Stärken von Coworking-Spaces. Er prophezeit dem in Deutschland noch jungen Phänomen eine rosige Zukunft: „Das wird noch eine interessante Entwicklung nach sich ziehen.“

50 Coworker in Strandkörben

GarageBilk-Betreiberin Yvonne Firdaus glaubt, dass es noch viele Möglichkeiten gibt, einen Coworking-Space aufzuwerten: “Der Coworking-Raum ist nur das Grundmodul, an das man noch andere Module andocken kann.” So gebe es in einigen Spaces, erklärt sie, sogar Fitnessräume im Keller oder andere Freizeitangebote. Im GenerationenKult-Haus in Essen wird demnächst Panorama-Coworking angeboten. Hört sich exotisch an. Ist es auch. Denn der Betreiber Reinhard Wiesemann, dem auch das Unperfekthaus gehört, plant eine riesige Dachterrasse. Dort sollen bis zu 50 Coworker in Strandkörben und an wetterfesten Tischen ihrer Arbeit nachgehen können. Außerdem dürfen sie den Wellnessbereich in der 6. Etage mitbenutzen: Sauna, Billard, Tischtennis. Arbeit und Freizeit vermischen sich dort, was aber gewollt ist.

Dabei verlangen die Coworker von ihrem Arbeitsplatz nicht viel, so Yvonne Firdaus: “Wichtig sind nur die Grunddinge, also ein Platz zum Arbeiten mit allen nötigen Anschlüssen. Und ein Lounge-Bereich für den Austausch untereinander ist den Coworkern wichtig.” Bei der Gestaltung der Arbeitsplätze kristallisiere sich immer mehr eine Mischform heraus: Ein Großraumbüro mit halboffenen Teambüros und wenigen Konferenzräumen scheint jedem Anspruch gerecht zu werden.

Noch in den Kinderschuhen

Beim Coworking geht es aber nicht nur darum, Arbeit und Freizeit besser trennen zu können. Die überwiegende Mehrheit der Coworker liebt laut Deskmag an ihrem Miet-Arbeitsplatz besonders die Kollegen. Denn die Inspiration durch neue Bekanntschaften ist für einen Kreativarbeiter geradezu unbezahlbar. Oft finden sich in Coworking-Spaces Kurzzeitteams zusammen, die sich gegenseitig ergänzen. Trotz Facebook und Co. lassen sich solche Kontakte nur schwer über das Internet knüpfen. Daher geht mit dem Coworking-Trend auch ein Mentalitätswechsel vonstatten: Weg von den virtuellen, hin zu den realen Bekanntschaften. „Das Pendel schlägt zurück“, glaubt Arbeitsexperte Stefan Rief.

Obwohl Coworking in Deutschland – anders als etwa in den USA – noch in den Kinderschuhen steckt, hat die Idee schon viele Menschen begeistert. „Ich bin Coworker geworden, weil ich überzeugt davon bin, dass Coworking die Arbeitsform der Zukunft ist“, meint etwa Kommunikationsdesigner Oliver Vaupel, Mitbegründer der GarageBilk. Dafür spreche, so Stefan Rief, dass die persönliche Zufriedenheit steige, je autonomer man arbeiten kann. Kein Problem beim Coworking, denn dort bindet man sich nur für einen Tag – und wenn die Kollegen nerven, bleibt man am nächsten Morgen eben zuhause.