Berlin. Über die Linke redet, gerade nach den Niederlagen der Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, kaum einer. Parteichef Klaus Ernst räumt eine „Delle“ ein. Atomkraft sei nicht das „Identitätsthema“ der Linken, sagte er im WAZ-Gespräch. Er will trotzdem damit punkten.

Alle reden über Japan, die Atomkraft und die Grünen. Über die Linke redet kaum einer mehr. Ein Gespräch mit dem Parteivorsitzenden Klaus Ernst:

Herr Ernst, erleben wir gerade die politische Kernschmelze der Linken?

Ernst: Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren ein Schock für uns. Aber es gibt keinen Grund für Existenzängste. Wir haben im Moment eine Delle. Unsere Themen dringend nicht so durch wie sonst. Das kommt wieder.

Die Bürger reden, fühlen und entscheiden derzeit über Politik entlang der Atomfrage. Was hat die Linke zu bieten?

Ernst: Wir haben die Atomkraft deutlicher abgelehnt als die Grünen. Aber es ist nicht das Identitätsthema der Linken. Wir werden unsere Kern-Kompetenz, die soziale Gerechtigkeit und die notwendige Demokratisierung stärker mit der Umwelt- und Energiepolitik verbinden.

Geht es etwas konkreter?

Ernst: Den Atomausstieg haben wir schon vor der Katastrophe in Japan gefordert. Jetzt muss gelten: So schnell wie möglich raus aus dieser unheilvollen Technologie. Ohne, dass bei uns die Lichter ausgehen.

Das wollen von CSU bis FDP alle anderen auch.

Ernst: Ja, seit neuem. Wir aber wollen den Atomausstieg unwiderruflich im Grundgesetz verankern. Das bedeutet auch ein Export-Verbot für deutsche Atomtechnologie.

„Verbrauch von Energie sozial gestalten“

Eine unrealistische Maximalforderung - ist das alles?

Ernst: Nein, wir werden auch heute schon über den Strompreis der Zukunft reden. Es darf nicht so sein, dass sich bei zu erwartenden steigenden Energiepreisen nur noch Besserverdienende Strom und umweltschonende AAA-Kühlschränke leisten können.

Sie wollen staatliche Strompreiskontrolle und die soziale Subventionierung des Strompreises?

Ernst: Natürlich. Und wir wollen den Verbrauch von Energie sozial gestalten. Energiepolitik darf nicht zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen. Es darf nicht sein, dass man - wie bei Sarrazin - Hartz-IV-Empfängern rät, sich im Winter einen Pullover mehr anzuziehen, weil das Geld für die Heizung nicht reicht.

Wollen Sie die Energie-Riesen stutzen?

Ernst: Richtig. Ich bin dafür, dass den Kommunen wieder die Oberhoheit über die Energieversorgung zurückgegeben wird. Die Bürger müssen wieder Zugriff auf elementare Dinge wie Wasser und Strom bekommen. Der Umbau unserer Energieversorgung muss der reinen Profitfrage entzogen und von einem Dreiklang geprägt sein: regional, dezentral und regenerativ.

Schwarz-Gelb auf der einen Seite, Grün-Rot auf der anderen - die Lager verfestigen sich. Wird die Linke überflüssig?

„Aufpassen, dass wir nicht unter die Räder kommen“

Ernst: Sicher müssen wir aufpassen, dass wir nicht unter die Räder kommen. Aber das geschieht nicht, wenn wir die Kernpunkte unserer Identität, wie die soziale Gerechtigkeit, armutsfeste Renten oder die Wiederherstellung der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, nicht weichspülen, nur um koalitionsfähiger zu werden.

Ost-Linke werben dafür, die Partei mittiger auszurichten und nicht nur die gesellschaftlichen Ränder zu bedienen.

Ernst: Beides muss sein. Selbstverständlich müssen wir weiter auf diejenigen schauen, die aus dem Arbeitsleben herausgedrängt wurden und von Hartz IV leben. Aber wir müssen die Partei werden, die sich um alle Arbeitnehmer kümmert, auch um Handwerker und kleine Mittelständler. Auch Unternehmer sind bei uns Mitglied. Das finde ich völlig in Ordnung. Wir müssen uns einfach breiter aufstellen, um von allen Bevölkerungsschichten wahrgenommen zu werden.

„Eine Partei muss einen Sinn haben“

Wie geht das?

Ernst: Unser Gebrauchswert muss unverwechselbar bleiben. Eine Partei muss einen Sinn haben. Unser Sinn ist es, gut aufzupassen, wie es den Menschen geht. Ein Beispiel: Wir sind für den Mindestlohn. Aber die meisten Arbeitnehmer verdienen schon heute mehr. Sie haben andere Sorgen. Viele haben nur einen befristeten Job oder keinen Kündigungsschutz. Junge Menschen können so keine Familie gründen. Wir wollen deshalb, dass Arbeitgeber künftig für Leiharbeitsjobs, befristete Arbeitsplätze und Minijobs einen höheren Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung zahlen müssen. Das wäre ein Anreiz zur Schaffung unbefristeter Jobs. Das ist sofort machbar und nutzt der Mehrheit der Menschen.

Gregor Gysi, ihr Fraktionschef im Bundestag, hat sich wieder für mehr Oskar Lafontaine auf der Bundesebene ausgesprochen. Ein Misstrauensbeweis gegen Sie und die Co-Vorsitzende Gesine Lötzsch?

Ernst: Ach was. Oskar Lafontaine ist und bleibt eines unserer größten Zugpferde. Das nützt der gesamten Partei. Als Vorsitzender nimmt man keinen Schaden, wenn man akzeptiert, dass es andere wichtige Menschen in der Partei gibt.

Wollen Sie nach 2012 noch Parteichef sein, gemeinsam mit Frau Lötzsch?

Ernst: Das entscheide ich, wenn es soweit ist.