Essen. . Nachtschichten und kurze Ruhezeiten bringen Piloten schon jetzt an die Grenze der Belastbarkeit. Die EU plant trotzdem, die Gesetze für Flug- und Ruhezeiten weiter zu lockern. Piloten und Politiker schlagen Alarm: Die Flugsicherheit sei in Gefahr.
Europas Piloten müssen sich vielleicht bald übermüdet an den Steuerknüppel setzen. Zumindest wenn es nach der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) in Köln geht. Die EASA arbeitet nämlich im Auftrag der EU-Kommission an einem Gesetzentwurf, der die Erholungszeiten für Flugzeug-Piloten deutlich einschränken will. Die Pilotenvereinigung Cockpit warnt vor „dem größten Sicherheits-Rückschritt in der Geschichte der europäischen Luftfahrt“.
Schon jetzt schieben Piloten bis zu 13 Stunden Flugdienst am Tag, in Ausnahmefällen sogar bis zu 15 Stunden. Dabei sei die Arbeitsbelastung in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, sagt Cockpit-Sprecher Jörg Handwerg. „Wegen des wirtschaftlichen Drucks reizen einige Fluglinien das gesetzlich vorgeschriebene Limit bis zur letzten Minute aus.“ Die Folge: Die Piloten seien oftmals so übermüdet, dass es nicht mehr zu verantworten sei.
„Konzentration lässt nach 14-Stunden-Flug stark nach“
„In der heißen Phase im Sommer arbeiten wir ständig am Limit“, bestätigt ein Flugkapitän von Tuifly gegenüber DerWesten. „Bei einem 14 Stunden-Flug lässt die Konzentration stark nach.“ Gerade nachts komme es immer wieder vor, dass er Funksprüche überhöre. Schon jetzt habe er manchmal nur sechs Stunden Schlaf, da er lange Pendel-Wege zwischen den Flughäfen und seinem Heimatort zurücklegen müsse.
Die Piloten-Gewerkschaft hatte eigentlich darauf gehofft, dass die EU die bestehenden Regeln zugunsten des Flug-Personals verändern würde. Im vorläufigen EASA-Bericht ist von einer Entlastung der Piloten aber keine Rede mehr. Nicht nur bleiben die maximalen Arbeitszeiten gleich, auch sollen Fluglinien ihren Mitarbeitern die Ruhezeit zwischen zwei Einsätzen zweimal in der Woche auf 7,5 Stunden einkürzen können. Und der Nachtdienst soll in Zukunft sogar von elf Stunden und 45 Minuten auf zwölf Stunden erhöht werden können.
70 Prozent der Piloten schon einmal am Steuerknüppel eingeschlafen
„Die setzen einfach noch einen drauf“, klagt Handwerg. „Der neue Gesetzentwurf gefährdet die Flugsicherheit.“ Zudem werde der Gesundheitsschutz der Piloten mit Füßen getreten. Auch der Co-Pilot könne nicht mehr eingreifen, wenn der Flugkapitän in einer schwierigen Situation falsch reagiere, sagt Handwerg. „Wenn der Pilot beim Landeanflug auch nur eine Sekunde unaufmerksam ist, kann das schon bedeuten, dass die Maschine von der Bahn rutscht.“
Laut einer Studie der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA geben 70 Prozent der Piloten an, im Cockpit schon einmal unfreiwillig eingeschlafen zu sein. Experten schätzen zudem, dass rund 20 Prozent der Flugunfälle auf Ermüdung der Piloten zurückzuführen sind. So auch der Absturz einer Colgan-Air-Maschine 2009 in Buffalo, bei dem 49 Menschen ums Leben kamen. Die USA haben daraufhin reagiert: Zwei Jahre nach dem Flugzeug-Unglück werden die Regeln ab Sommer verschärft. Jetzt dürfen die Piloten nachts nur noch neun Stunden fliegen. Zur Erinnerung: In Europa sollen auf Empfehlung der EASA bald zwölf Stunden Nachtflug-Zeit möglich sein.
Piloten wittern erfolgreiche Lobby-Arbeit der Fluglinien
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat die Auswirkungen von Erschöpfung bei Piloten in Feldversuchen untersucht. Das Fazit: „Bei einer Zwei-Mann-Cockpit-Crew sollten Nachtflüge eine Dauer von zehn Stunden und Tagflüge eine Dauer von zwölf Stunden Flugdienstzeit nicht überschreiten“, sagt Martin Vejvoda vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. Bei Nachtflügen sollte es keine Ausnahme geben, rät der Forscher.
„Uns ist völlig unverständlich, dass Europa trotz dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse eine völlig andere Richtung einschlägt“, sagt Cockpit-Sprecher Handwerg. „Warum sollten europäische Piloten belastbarer sein als amerikanische?“ Die Piloten-Gewerkschaft wittert hinter dem Gesetzentwurf die erfolgreiche Lobby-Arbeit der Fluglinien.
Die EASA versucht derweil, die Wogen zu glätten: Bei der Formulierung des Entwurfs seien alle Parteien mit einbezogen worden, sagt Sprecher Jeremie Teahan. Neben Fluggesellschaften und Experten sei auch die Meinung von erfahrenen Piloten mit eingeflossen. Der Schriftsatz sei zudem erst einmal ein Vorschlag. Im Endeffekt solle die Gesetzreform eine Verbesserung der Lage bringen. Dass die EASA nur zu einem Drittel von der EU und zu zwei Dritteln aus Mitteln der Luftfahrt-Industrie finanziert werde, räumt Teahan dagegen ein.
„Nur eine Frage der Zeit, bis es kracht“
Widerspruch kommt auch von EU-Parlamentariern. Die Grünen sprechen von besorgniserregenden Plänen der EASA: Sollte dieser Vorschlag unverändert in den Verkehrsausschuss des Parlaments kommen, kündigt die Partei ihren Widerstand an. Soziale Standards und Sicherheit im Flugverkehr müssten verteidigt werden. Auch die Union distanziert sich von den Plänen: „Eine Neuregelung, die die Ruhezeiten reduzieren würden, werden CDU und CSU ablehnen“, sagt Werner Kuhn, Verkehrsexperte der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. SPD-Verkehrsexperte Knut Fleckenstein hofft ebenfalls, dass der EASA-Entwurf in seiner jetzigen Form im Parlament keine Mehrheit erhält.
„Wenn wir noch weniger Ruhezeit haben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es kracht“, warnt auch der Flugkapitän von Tuifly. Einen Sekundenschlaf im Cockpit hat er noch nicht erlebt - dafür auf der Autobahn. „Ich war nach einem langen Flug auf dem Rückweg nach Hause, da sind mir einfach die Augen zugefallen. Ich bin von der Fahrbahn abgekommen und habe die Leitplanke gestreift“, berichtet er. „Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert.“