Augsburg. . Geowissenschaftler warnen: Schwere Erdbeben seien auch in Deutschland möglich. Deutsche Meiler seien dafür nicht ausgerichtet und würden größeren Erdschwankungen nachgeben.
Experten halten die Erdbebengefahr für deutsche Atomkraftwerke für weit unterschätzt. Der Geowissenschaftler Eckhard Grimmel vom Hamburger Institut für Geografie sagte der „Augsburger Allgemeinen“, dass ein Blick in die länger zurückliegende Geschichte zeige, dass mit wesentlich stärkeren Erdbeben gerechnet werden müsse, als dies bei der Planung der deutschen Atommeiler geschehen sei. „Deutsche Atomkraftwerke würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit historischen Beben in Mitteleuropa, wie beispielsweise dem Beben von Basel im Jahr 1356 nicht standhalten“, sagte der Professor.
Auch der Erdbebenexperte Gottfried Grünthal vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam warnt vor ähnlich starken Erdstößen, wie es sie in zurückliegenden Jahrhunderten in Deutschland und Mitteleuropa gegeben habe. Entlang des Rheingrabens habe es Beben gegeben, die auf der Richterskala die Marke 6 überschritten hätten. „Solche Beben könnten immer wieder erreicht werden“, sagte Grünthal der Zeitung.
Geowissenschaftler kritisiert „leichtfertige deutsche Politik“
Grimmel kritisierte, dass die deutsche Politik die Erdbebengefahr in der Vergangenheit lange unterschätzt habe: „Das ist leichtfertig, das habe ich auch mehrfach angeprangert und den Genehmigungsbehörden mitgeteilt“, sagte er. Grimmel war 1988 als Sachverständiger mit daran beteiligt, dass dem Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich die Betriebsgenehmigung entzogen wurde, weil das Erdbebenrisiko nur unzureichend berücksichtigt worden war, wie das Bundesverwaltungsgericht damals bestätigte.
Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, sieht dagegen die Sicherheitsstandards der deutschen Atomanlagen als ausreichend an. Grundlage seien „konkrete Risikobewertungen“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Allerdings werde es nun eine Neubewertung geben. „In Japan sind alle davon ausgegangen, dass es nie ein Erdbeben mit einer Stärke von 9,0 geben würde. Doch die Natur hat sich nicht daran gehalten.“
Auch die große Mehrheit der Deutschen hält einer Umfrage zufolge einen Atomunfall wie in Japan auch hierzulande für denkbar. Laut einer Befragung für die ARD sind 70 Prozent der Ansicht, dass ein ähnlich schwerer Unfall auch in einem deutschen Atomkraftwerk passieren kann. 28 Prozent halten dies nicht für denkbar. 39 Prozent der Deutschen haben laut dem ARD-DeutschlandTrend extra die Sorge, dass Radioaktivität aus Japan auch nach Deutschland gelangen und hier Luft, Wasser und Lebensmittel verunreinigen könnte. 60 Prozent haben diesbezüglich keine Sorge.
Mehrheit der Deutschen fordert das Aus deutscher Atommeiler
Die von der Bundesregierung angekündigte Aussetzung der Laufzeitverlängerung und Überprüfung aller deutschen Atomkraftwerke befürworten 80 Prozent der Deutschen. Nur 18 Prozent lehnen dies ab. Ebenfalls 80 Prozent fordern, die geplante Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke von durchschnittlich zwölf Jahren ganz zurückzunehmen. 17 Prozent sprechen sich für die Beibehaltung der Laufzeitverlängerung aus.
Der Vorschlag der Opposition, die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen, wird von 72 Prozent der Deutschen unterstützt. 21 Prozent lehnen dies ab. Eine Mehrheit von 53 Prozent ist der Ansicht, alle deutschen Atomkraftwerke sollten so schnell wie möglich stillgelegt werden. 43 Prozent sind nicht dieser Meinung.
Merkel berät mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer
Über die Wende in der deutschen Atompolitik berät Bundeskanzlerin Merkel am Dienstag, 10 Uhr mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, in denen Kernkraftwerke stehen. Angesichts der Reaktorkatastrophe in Japan hatte Merkel gestern verkündet, die erst Ende November beschlossene Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke für drei Monate auszusetzen.
Als Konsequenz könnten in den kommenden Monaten mehrere Kraftwerke vom Netz gehen, darunter Neckarwestheim 1, Isar 1 sowie Biblis A und B. Die Opposition kritisierte, die Regierung wolle sich mit dem Moratorium nur über die anstehenden Landtagswahlen retten. (afp, dapd)