Essen. . MSV Duisburg und Schalke kämpfen um den DFB-Pokal. Borussia Dortmund ist auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft und der VfL Bochum will zurück in die Bundesliga. Der Revier-Fußball begeistert zurzeit die ganze Nation.

Bei den Ticketbörsen im Internet explodieren die Preise. Wer zwei Eintrittskarten für das DFB-Pokalfinale am 21.Mai in Berlin kaufen möchte, muss dafür im Moment rund 600 Euro hinlegen. Im Endspiel trifft der FC Schalke 04 auf den MSV Duisburg, Borussia Dortmund ist so gut wie sicher deutscher Meister, und der VfL Bochum arbeitet an der Rückkehr in die Bundesliga. Fußball im Revier boomt, Pott sei Dank!

Fußballhochburg Ruhrpott

weitere Videos

    Mit dem Ruhrgebiet hat Raul eigentlich wenig zu tun

    Die Begeisterung hat mit Menschen zu tun. Zum Beispiel mit Raul. Der Schalker Stürmer, der die Königsblauen mit seinem Treffer zum 1:0-Halbfinalsieg gegen den FC Bayern schoss, ist ein Typ, für den man die Telefonzellen wieder aufstellen möchte, damit er darin die Gegner austricksen kann. Mit dem Ruhrgebiet hat er wenig zu tun. Der Spanier ist vom Weltklub Real Madrid gekommen, er wohnt mit seiner Familie nicht in Gelsenkirchen, sondern im vornehmen Zoo-Viertel von Düsseldorf, aber er hat den Mythos Königsblau in der Nacht von München am Leben gehalten. Das zählt.

    Oder Milan Sasic. Den Trainer des MSV Duisburg gibt es in zwei Versionen: Entweder er geht zum Training, oder er kommt vom Training. Der Kroate ist ein Malocher, der auch am Tag seiner Silberhochzeit vormittags und nachmittags auf dem Trainingsplatz stand. Als er vor 20 Jahren nach Deutschland kam, begann er in der Kreisliga B und fuhr auf der Baustelle Bagger, um Geld zu verdienen.

    „Unsere Stadt braucht so einen Erfolg.“

    Ein bodenständiger Mann, der nach dem 2:1-Halbfinalsieg gegen Energie Cottbus einen Satz sagte, der zum Fußball im Ruhrgebiet gehört wie die Milch zu den Corn Flakes: „Unsere Stadt braucht so einen Erfolg.“ Der Fußball kann das Image einer Stadt in positive Bahnen lenken. Würde irgendwer in Deutschland über den Gelsenkirchener Stadtteil Schalke sprechen, wenn es den FC Schalke 04 nicht geben würde? An diesen Mechanismus dachte Sasic, als er die Stadt nach dem Einzug der Zebras ins Pokalfinale ins Spiel brachte. Das Image von Duisburg ist nach der Loveparade-Katastrophe und der völlig verunglückten politischen Aufarbeitung im Keller. Ein sympathischer Auftritt im Endspiel von Berlin könnte helfen.

    Allerdings muss man an dieser Stelle einen Schluck Wasser in den Wein der Begeisterung gießen: Hinter dem Erfolg des Revierfußballs steht nicht allein akribische Arbeit, sondern auch Glück. So schnupperte Cottbus beim MSV in der Schlussminute gleich mehrfach am Ausgleich, und ob der Kopfball des Energie-Abwehrriesen Uwe Hünemeier nicht doch hinter der Linie war, weiß allein der Fußballgott. Hätte der Schiedsrichter auf Tor entscheiden, wäre die Luft aus dem Pott-Wunder heraus gewesen.

    Hätte, wäre, wenn.

    Weniger Zufall als im Pokal ist in der Bundesliga im Spiel. Fahren wir die A40 ein paar Kilometer in Richtung Westfalen. Auf dem Bolzweg beginnt man in Duisburg, passiert Gelsenkirchen, ahnt hinter den Schallschutzwänden das Bochumer Stadion und landete bei Borussia Dortmund und den Fußball-Zauberern Nuri Sahin, Lucas Barrios, Mats Hummels, Mario Götze. Für solche Spieler ist das Flutlicht erfunden worden. Über 80.000 Zuschauer bei den Heimspielen sprechen für sich.

    Doch der Rausch der Gegenwart gebietet es, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Spurensuche: Wer in Gelsenkirchen in der Glückaufkampfbahn mit ihrer Holztribüne steht und die Augen schließt, sieht auf einmal die Helden aus den Anfängen vor sich. Fritz Szepan und Ernst Kuzorra ziehen den Schalker Kreisel auf. Es ist die Zeit, als der Liter Benzin noch 50 Pfennig kostet, die Vorstopper zur Not eine Kiste Bier aus dem Strafraum köpfen und der FC Schalke noch Meister wird.

    Dann reißt einen das Dröhnen der Autobahn aus den Träumen. Die A42 führt direkt hinter dem Tor vorbei. Auf dem Boden der Glückaufkampfbahn liegt kein Rasen mehr, die Stadt hat Kunstrasen ausrollen lassen Früher war nicht alles besser, aber einiges.

    Zurück in die Gegenwart. Ein Pokalsieg könnte die verkorkste Saison der Schalker retten, aber Trainer Felix Magath will davon noch nichts wissen. „Es hat Spaß gemacht in München“, sagt er. „Aber jetzt spielen wir in der Bundesliga erstmal beim VfB Stuttgart und konzentrieren uns auf dieses Spiel.“

    Das ist die Aufgabe der Profis, die Fans haben eine andere Aufgabe: Sie fahnden fieberhaft nach bezahlbaren Eintrittskarten für das Finale in Berlin. Fußball ist der Kitt, der alles zusammenhält.