Recklinghausen.. Er gilt als einer der wichtigsten Mobbing-Experten im Ruhrgebiet. DerWesten sprach mit Wolfgang Kindler über Tätertypen, Cybermobbing und Kinder, denen es an Empathie fehlt.
Vor 20 Jahren gab es den ersten Mobbingfall am Petrinum Gymnasium in Recklinghausen. Seitdem arbeitet Wolfgang Kindler, der dort unterrichtet, zum Thema Mobbing. DerWesten sprach mit Kindler über Tätertypen, härtere Mobbingformen und Cybermobbing.
Wie erkenne ich, ob es sich tatsächlich um Mobbing und nicht nur um einen harmlosen Streit zwischen Schülern handelt?
Kindler: Mobbing ist immer eine langfristige Sache, die Tat wiederholt sich. Wenn jemand wochenlang geschnitten wird, ist das Mobbing. Wenn es nur ein Tag ist, nicht.
Hat sich die Art, wie Schüler einander mobben, verändert?
Kindler: Ich denke schon. Heute sind die Täter meist boshafter und gemeiner als vor 20 Jahren. Relativ neu ist die Form der Intrige: Schüler verabreden sich, dem anderen gezielt etwas zu unterstellen, um ihn bei Mitschülern oder Lehrern schlecht zu machen. Besonders die sexuellen Verleumdungen sind härter geworden.
Im Internet fehlen ethische Bremsen
Spielt das Internet dabei eine Rolle?
Kindler: Durch die Anonymität fehlt die ethische Bremse. Das Internet macht eine Verleumdung viel einfacher, ich muss dem anderen nicht in die Augen schauen. Todeswünsche im Internet sind keine Seltenheit mehr, auch nicht gegen Lehrer.
Es fehlt am Mitgefühl
Gibt es einen bestimmten Tätertyp?
Kindler: Es gibt mehrere. Allen gemein ist die fehlende Fähigkeit oder Bereitschaft, sich in die Lage ihrer Opfer zu versetzen. Früher mobbten vor allem die Kinder, wenn andere gegen anerkannte Normen verstießen. Heute gibt es mehr Jugendliche, die andere ohne Grund mobben. Das sind die gefährlichsten Täter, denn ihnen fehlt es an Empathie. So einem Kind kann man nur schwer klar machen, warum es falsch ist, jemand anderen zu quälen. Häufig werden Kinder Täter, die früher selbst Opfer waren. Meist, um ihre eigene Position in der Gruppe zu stabilisieren.
Was fehlt diesen Kindern?
Kindler: Darüber kann ich nur spekulieren. Ich denke, dass es viel damit zu tun hat, dass uns die gesellschaftlichen Normen verloren gehen. Tabuverstöße, wie etwa im Dschungelcamp, sind überall präsent. In vielen Unterhaltungssendungen wird vermittelt, dass das Bloßstellen und Demütigen eine legitime Form von Unterhaltung ist.
Wie sollen Lehrer sich bei Mobbing unter Schülern verhalten?
Kindler: Dafür gibt es keine generelle Antwort. Jedoch muss sich jeder Lehrer bewusst machen, dass Mobbing nie nur ein Problem zwischen einem Täter und dem Opfer ist. Es ist immer ein Klassenproblem. Und deswegen muss auch die gesamte Klasse miteinbezogen werden.
Wie regeln Sie das an Ihrer Schule?
Kindler: Wir versuchen dem Problem zuvorzukommen. Bei uns gibt es eine Art Anti-Mobbing-AG, in der die Schüler zu Moderatoren ausgebildet werden. Sie lernen, wie sie mit Konflikten umgehen können und wie man sich gegen Gruppenzwang wehren kann.
Ein Kurs für Zivilcourage sozusagen?
Kindler: Ja, im Prinzip schon. Die Schüler müssen lernen, sich in solch einer Situation Verbündete zu suchen, eine Gegengruppe zu bilden. Das kann man alles trainieren.
Warum hat nicht jede Schule so eine AG?
Kindler: Es gibt einige Schulen im Kreis, die einen ähnlichen Ansatz haben. Doch leider gibt es auch noch viele Schulen, die nicht anerkennen wollen, dass an jeder Schule gemobbt wird. Wenn ich aber Mobbing generell leugne, kann ich auch nicht gegen Mobbing vorgehen.