Essen. . Keine Kontroverse, keine Impulse für eine weiterreichende Diskussion: Die Talkgäste bei „Hart, aber Fair“ verloren sich in der Diskussion über die Ägypten-Krise in Floskeln. Erst das Stichwort Islamismus goss etwas Öl ins Diskussionsfeuer.
„Freiheit oder Gottesstaat – wie gefährlich ist die Revolution am Nil?“ fragte diesmal Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber fair“. Es hätte ein spannender Schlagabtausch werden können. Doch dann stellte sich heraus: Die Diskussionsteilnehmer warfen mehr Fragen auf, als sie Antworten gaben.
Eine politische Talkshow lebt von Kontroversen. Doch Plasbergs Gäste hätten sich teilweise ebensogut vor der Sendung absprechen können, so einträchtig übten sie sich im Meinungsgleichschritt. Selbst Michel Friedman vergaß zumindest phasenweise seine Rolle als Islamskeptiker und freute sich über seine eigene Feststellung: „Die Zeit von Mubarak ist vorbei.“ Er forderte „Unterstützung für die Friedfertigen, die völlig zurecht für ihre Freiheit kämpfen“. Da mochte ihm verständlicherweise keiner aus der Runde (neben Friedman noch John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland; Aiman Mazyek, Vorsitzender Zentralrat der Muslime; Cilja Harders, Professorin für Politik des Vorderen Orients; Ulrich Kienzle, Journalist) widersprechen.
Dabei hatte Plasberg den Abend doch mit einer provokanten Frage begonnen: Ist die Revolution von Ägypten ein Signal an andere Diktatoren – oder doch eine Grundlage für Islamismus am Mittelmeer? Islamismus, das war dann tatsächlich das Stichwort, das Öl ins Diskussionsfeuer goss. „Der Islam hat die Scharia, definiert immer noch das Rechtssystem nach dem Islam, wir wissen, wohin das führt“, echauffierte sich Friedman und warnte vor einem zweiten Iran. Kienzle konterte: „Sie bringen die Dinge gerne durcheinander“, Friedman erwiderte schlagfertig: „Gut, dass Sie da sind, um sie aufzuklären“ – schließlich unterbrach Plasberg den wenig sachdienlichen Schlagabtausch mit dem Hinweis auf seinen imaginären Blauhelm auf dem Kopf. Es sollte einer der wenigen Farbtupfer des Abends bleiben.
„Der Westen schaut zu, wie die Proteste niedergeknüppelt werden“
Blass wie sein schlohweißes Haar blieb hingegen der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Viele seiner Aussagen blieben abstrakt – ob aus seinen Worten die Vorsicht sprach oder andere Beweggründe, wurde nicht klar. Sein Präsident Barack Obama, gab er zu bedenken, könne sich kaum deutlicher äußern – schließlich habe er in beide Richtungen etwas zu verlieren, ob er sich auf die Seite von Mubarak stelle oder gegen ihn. Vom Repräsentanten einer Nation, die nach den Anschlägen vom 9. September 2001 immer noch traumatisiert ist, war allerdings auch wenig anderes zu erwarten gewesen. Seine Zurückhaltung teilten die übrigen Diskussionsteilnehmer nicht: „Der Westen und unsere Außenminister schauen zu, wie das niedergeknüppelt wird“, griff Kienzle den verbalen Waffenstillstand der westlichen Welt gegenüber den prügelnden Mubarak-Schergen scharf an. Der Applaus bewies, dass er dem Publikum damit aus der Seele sprach.
Doch die Zuschriften der Zuschauer zeigten, dass auch bei ihnen Angst herrscht vor Islamismus und Scharia, vor einem Gottesstaat am Mittelmeer. Ob die ARD sie mit ihrem Einspieler zur Muslimbrüderschaft noch schüren wollte? In eine Reihe wurde sie dort gestellt mit Dschihad, Hamas und Osama Bin Laden. „Sie haben da Sachen verknüpft, die nicht zusammen gehören“, monierte dementsprechend Cilja Harders. „Die Muslimbrüder sind keine radikale Kraft, sie sind eine Reformbewegung.“
Lösungen kann man nicht erwarten, neue Impulse schon
Ob sie allerdings in eine neue Regierung einzubeziehen seien, was an die Stelle der Doppelmoral des Westens treten könnte und welche Rolle er bei einer Demokratisierung Ägyptens spielen könnte – auf diese Fragen hatten die Diskussionsteilnehmer keine Antworten. Lösungen sind zwar von einer Fernseh-Talkshow nicht zu erwarten. Doch zumindest Impulse für neue Ideen hätte sich der Zuschauer an diesem Abend gewünscht. Einer der hilfreichsten Beiträge der Sendung stammte von Aiman Mayzek. Es bedurfte seiner Worte, um das Publikum im Studio und vor den Bildschirmen daran zu erinnern: „Hier geht es nicht um Freiheit auf der einen Seite und Islamismus auf der anderen.“ Dass der Islam nicht gleichzusetzen ist mit bombentragenden Extremisten, die die Scharia durchsetzen wollen, das scheinen im Westen viele Menschen vergessen zu haben – nicht nur die Politiker.