Berlin. Der Bund soll nicht länger abseits stehen, sondern den Ländern bei der Bildung unter die Arme greifen. Das fordert NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann im Gespräch mit DerWesten. Offenkundig muss das Grundgesetz geändert werden.

Vielleicht wird man später behaupten, die Hartz-IV-Debatte sei der Stein gewesen, der alles ins Rollen brachte. Offenkundig muss das Grundgesetz geändert werden, damit der Bund über die Kommunen ein „Bildungspaket“ anbieten kann. Es rächt sich ein Webfehler der Verfassung: das „Kooperationsverbot“ bei der Bildung.

Die Fachpolitiker in Berlin sind darüber unglücklich. Und die Länder gestehen sich zu­nehmend ein, dass sie bei der Föderalismusreform 2006 ein Eigentor geschossen ha­ben. NRW-Schulministerin Syl­via Löhrmann (Grüne) kündigt im Gespräch mit derWesten eine Initiative im Bundesrat an, um das Verbot abzuschaffen, das sie für „unsinnig“ hält. NRW nimmt eine Vorreiterrolle ein.

„Willkommen im Club“, werden ihr die Bildungspolitiker in Berlin zurufen. „Zu 100 Prozent“ seien die SPD-Fachpolitiker für eine Aufhebung, stellt ihr Vormann Ernst Dieter Rossmann klar. Der CSU-Politiker Albert Rupprecht würde das Verbot aufweichen. Der Abgeordnete Heiner Kamp strebt dazu einen förmlichen FDP-Parteitagsbeschluss an. Zwar hält sich die Regierung bedeckt, aber Rossmann beobachtet in allen Lagern „Bewegung“. Viele seien die Abgrenzungsprobleme leid. „Ich auch“, fügt er hinzu.

Auf Drängen von Koch

2006 kam das Verbot in das Grundgesetz, weil die Länder keine „goldenen Zügel“ mehr spüren wollten. Der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch drängte auf die Abgrenzung. Der CDU-Mann hatte miterleben müssen, wie das Ganztagsschulprogramm von Rot-Grün zum Erfolg wurde: Berlin bot Milliarden an, und die Länder ließen sich an den derart vergoldeten Zügeln führen. Der Bund gab mit dem Geld auch die Richtung an. Die Länder aber wollten nicht länger parieren.

Das Problem war indes, dass die Länder klamm sind und die Kommunen für jeden Euro aus Berlin dankbar wären; Schulen, Elternverbände selbstredend genauso. „Da mussten erst Banken zusammenkrachen, damit der Bund den Schulen helfen durfte“, erinnert sich Rossmann. Über juristische Schleichwege – über den Artikel 104 des Grundgesetzes – gewährte der Bund Geld für Schulen, zum Beispiel für deren energetische Sanierung.

Der Krampf könnte weitergehen: Darf Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) eine Exzellenzinitiative zur Lehrerausbildung auflegen? Im März wird eine Studie zum Analphabetentum erwartet. Und wieder stellt sich die Frage: Darf der Bund helfen? Wären Kurse Teil der Allgemeinbildung oder gehen sie eher als Berufsbildung durch? Je nachdem ist mal der Bund, sind mal die Länder am Zuge. So muss man immer wieder mal einen Weg finden, ein Verbot zu umgehen, das man lieber heute als morgen abschaffen würde.

In der SPD zum Beispiel ist es ein offenes Geheimnis, dass man aus Rücksicht auf den Mainzer Regierungschef Kurt Beck die Debatte auf Sparflamme kocht. Nach „seiner“ Wahl im März wird man sie wohl offener führen.

Wink aus Karlsruhe

Mut dazu schöpfen sie in Berlin aus Karlsruhe. Bei ihrem Hartz-IV-Urteil hatten die Richter nicht auf die Zuständigkeiten geguckt, sondern geradeheraus definiert, was die Kinder aus einkommensschwachen Familien brauchen. Das Urteil des Verfassungsgerichts sei doch schon die Aufforderung an den Bund, sich einzumischen und Bildungsangebote sogar komplett zu finanzieren, gibt Sozialdemokrat Rossmann zu bedenken. „Was streiten wir da noch, wer wann zuständig ist?“

Die Kritiker würden die Artikel 91b und 104b so zurückbauen, dass der Bund unverkrampft wieder ins Spiel kommen kann. Das Ganztagsschulprogramm etwa hat einen immensen Schub ausgelöst, weiß Vorreiterin Löhrmann. „Solche Investitionen müssen wieder möglich sein.“