Berlin. . Nach dem Höhepunkt der Affären-Kette bei der Bundeswehr und der Entlassung des Kapitäns der Gotch Fock nach dem Tod einer Offizieranwärterin will Verteidigungsminister Guttenberg nun radikal aufklären. Es wird in allen Teilstreitkräften nach entwürdigenden Ritualen geforscht.
Nach den jüngsten Vorfällen bei der Bundeswehr will Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Armee gründlich aufräumen. Alle Teilstreitkräfte sollen nun auf Vorkommnisse hin untersucht werden, kündigte der CSU-Politiker am Wochenende an. Während der Bundeswehrverband Guttenberg für seine Initiative lobte, kritisierte die Bundestags-Opposition eine „Salamitaktik“ des Ministers.
Hintergrund sind drei fast zeitgleich bekannt gewordene Vorfälle. Dabei handelt es sich um Meuterei-Vorwürfe auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, das Öffnen von Feldpostbriefen aus Afghanistan und neue Hinweise zum Tod eines Soldaten in Afghanistan. Quelle war jeweils der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP), der sich erneut gegen Vorhaltungen verwahrte, er wollte damit am Image des beliebten Unions-Ministers kratzen.
Guttenberg fühlt sich schlecht informiert
„Ich habe den Generalinspekteur beauftragt, eine Überprüfung in allen Teilstreitkräften vorzunehmen, inwieweit es in den letzten Jahren und auch jetzt noch Anhaltspunkte für Rituale gibt, die den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen“, sagte Guttenberg. Generalinspekteur Volker Wieker soll ihm dann „zeitnah aufzuzeigen“, welche Konsequenzen sich aus möglichen Regelverstößen ergeben.
Vorrangiges Ziel von Guttenberg ist es, den Informationsfluss in seinem Haus grundsätzlich umzukrempeln. Es dürfe nicht sein, „dass ein Minister, der am Ende des Tages entscheiden muss, eine Vorlage bekommt, auf der „EILT SEHR“ steht und er feststellen muss, dass die einen 35-fachen Gegenzeichnungsamtsgang gezogen hat und einen dreieinhalb Monate später erreicht“. Dabei handele es sich um kein Einzelbeispiel, monierte der Ressortchef.
Opposition zieht Glaubwürdigkeit des Ministers in Zweifel
Die SPD zweifelt angesichts der jüngsten Vorfälle bei der Bundeswehr an einer klaren Linie Guttenbergs. Dabei stelle sich auch die Frage der Glaubwürdigkeit des Verteidigungsministers, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Noch am Freitag habe Guttenberg die Opposition für ihre Forderung nach Konsequenzen beschimpft. „Einen Anruf von der „Bild“-Zeitung und einen Tag später ist alles anders. Der Kapitän der „Gorch Fock“ ist entlassen. Das lässt vermuten, da wird noch viel aufzuräumen sein“, sagte er.
Linken-Chef Klaus Ernst hält als Konsequenz auch eine eingehendere parlamentarische Untersuchung im Bundestag für möglich. Guttenberg fehle ein grundlegender Begriff von den Regeln einer Parlamentsarmee, monierte Ernst.“ Von ihm wurde kein personelles Bauernopfer gefordert, sondern rückhaltlose Aufklärung. Das war keine nette Bitte, sondern eine Erinnerung an seine Amtspflichten als Minister.“ Sollten nicht sofort alle Fakten auf den Tisch kommen, dann müsse im Bundestag „ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob die Vorfälle in der Bundeswehr nicht eingehender untersucht werden müssen“.
Die Grünen forderten ebenfalls Aufklärung. Es sei jetzt aber nicht an der Zeit, einen Rücktritt des Ministers zu fordern, sagte Grünen-Wehrexperte Omid Nouripour. In erster Linie müssten die Vorfälle bei der Bundeswehr aufgeklärt werden: „Wer hat die Feldpost geöffnet. Was ist passiert bei dem Soldaten, der ums Leben gekommen ist und was ist auf der „Gorch Fock“ alles schiefgegangen. Das ist das, was mich am meisten interessiert.“
Erste Ergebnisse zu den Vorfällen
Unterdessen liegt zu dem Feldpostvorkommnis ein erstes Zwischenergebnis vor. Danach sind „vermutlich“ etwa ein Dutzend Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan „unrechtmäßig geöffnet“ worden, sagte ein Ministeriumssprecher. Andere wiederum hätte der Zoll bei zulässigen Kontrollen geöffnet und entsprechend gekennzeichnet. Im vergangenen Jahr wurden von der Feldpost weit mehr als eine Million Briefe und gut 270.000 Päckchen und Pakete befördert.
Zu den Vorfällen auf der „Gorch Fock“ beauftragte Guttenberg den Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Axel Schimpf, mit der Aufklärung. Dieser benannte ein Expertenteam unter Leitung des Chefs des Marineamtes, der zusammen mit zwei Juristen vom Marineamt und vom Verteidigungsministerium sowie dem Havariebeauftragten der Marine nun vor Ort die Geschehnisse untersuchen soll. Das Team, das von zwei Mitarbeitern des Wehrbeauftragten begleitet wird, soll am 27. Januar in Argentinien eintreffen.
Auch der Vater von Jenny B. fordert neue Ermittlungen
Unterdessen fordert auch der Vater der im September 2008 von Bord der „Gorch Fock“ gestürzten Offizieranwärterin Jenny B. eine Neuaufnahme der Ermittlungen zum Tod seiner Tochter. Er habe gleich nach dem Vorfall den Verdacht gehabt, seine Tochter könnte an Bord sexuell belästigt worden sein, schreibt die „Bild“-Zeitung. „Ich halte es durchaus für möglich, dass Jenny bedrängt wurde und bei einer Rangelei über Bord ging. Ein Unfall macht einfach keinen Sinn. Sexuelle Nötigung habe ich mir von Anfang an als Szenario vorgestellt“, sagte der Vater dem Blatt. Guttenberg müsse sich jetzt dafür einsetzen, neue Untersuchungen zu veranlassen. „Wenn er Transparenz will, muss dieser Fall noch einmal untersucht werden.“
Der Zeitung liegt nach eigenen Angaben eine E-Mail vor, die Jenny B. 24 Stunden vor ihrem Tod am 2. September 2008 an ihre Mutter schrieb. Darin bat sie, noch am Abend ihrer Rückkehr einen Arzttermin zu vereinbaren. „Mama, ich MUSS einen Termin bekommen. Ansonsten muss ich Samstag Abend ins Krankenhaus und mich dort in der Notaufnahme untersuchen lassen.“ In Großbuchstaben habe sie hinzugefügt, dass sie den Arzt ihres Vertrauens sehen müsse und bittet den Angaben zufolge ihre Mutter: „Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber ich muss untersucht werden. Erkläre ihm (dem Arzt, Anm.d.Red.) die Lage, ich hoffe, dass er mir helfen wird. Ansonsten weiß ich auch nicht, was ich machen kann...“ Laut Aussagen anderer Offiziersanwärterinnen soll es regelmäßig zu sexuellen Übergriffen an Bord gekommen sein. Die „Forch Fock“ habe als „schwimmender Puff“ gegolten.
Weiter in den Händen der Staatsanwaltschaft liegt zudem die Aufklärung des Todes eines Bundeswehrsoldaten Ende vergangenen Jahres in Afghanistan. Die Ermittlungen richteten sich gegen einen Soldaten, der aus bisher unbekannten Gründen einen 21-jährigen Hauptgefreiten aus dem Gebirgsjägerbataillon 232 aus dem bayerischen Bischofswiesen erschoss. Laut „Spiegel“ sind die Ermittler der Bundeswehr zu dem vorläufigen Ergebnis gekommen, dass „die Nichteinhaltung von Sicherheitsbestimmungen und die Unachtsamkeit“ des Schützen Grund für den Schießunfall waren. (dapd)