Karlsruhe /Straßburg.

Der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung von Straftätern als Verstoß gegen die Menschenrechte gerügt. Die Richter gaben vier Sexualverbrechern Recht.

Deutschland ist vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wegen Verletzung der Menschenrechte verurteilt worden. Die Straßburger Richter haben am Donnerstag erneut die nachträgliche Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention gerügt. Erstmals beanstandete der EGMR aber nicht nur die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung, sondern auch deren nachträgliche Anordnung. Nur wenn die Unterbringung bereits im Urteil ausgesprochen oder angedroht ist, könne sie verhängt werden. Die Beschwerden von vier Sexualstraftätern aus Zell in Bayern, Freiburg und Aachen hatten damit Erfolg.

Drei Beschwerdeführer erhalten wurden Entschädigungen von 70.000 Euro, 30.000 Euro und 25.000 Euro zugesprochen, die die Bundesrepublik an sie zahlen muss.

Deutsche Gerichte müssen Rechtssprechung zügig umsetzen

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von 13 Monaten, dass Deutschland wegen der nachträglichen Sicherungsverwahrung verurteilt wurde. Bisher ging es um die nachträgliche Streichung der Zehnjahresfrist bei der Sicherungsverwahrung. Die Änderung von 1998 hatte zur Folge, dass Verwahrte, die noch unter Geltung der Höchstgrenze verurteilt wurden, auf unbestimmte Zeit weiter festgehalten wurden. Im Dezember 2009 erklärte der EGMR diese Praxis erstmals für konventionswidrig, da es sich um eine rückwirkend verhängte Strafe handele. Das Urteil ist seit Mai 2010 rechtskräftig. Der EGMR bestätigte am Donnerstag seine Auffassung noch einmal und gab in Parallelverfahren drei weiteren Beschwerdeführer recht, die über die Zehnjahresgrenze hinaus in Verwahrung blieben. Die deutschen Gerichte wurden ausdrücklich aufgefordert, die Rechtsprechung zügig umzusetzen.

Nachträgliche Anordnung grundsätzlich gebilligt

In einem vierten Fall erklärte der EGMR jetzt aber auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Der inzwischen 76-jährige Sexualstraftäter Albert H. aus Bayern wurde erst in Sicherungsverwahrung genommen, als er seine dreieinhalbjährige Strafe verbüßt hatte. Diese gesetzliche Möglichkeit der nachträglichen Anordnung war neu geschaffen worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese nachträgliche Anordnung grundsätzlich gebilligt.

Die dagegen eingelegte Beschwerde des Albert H. hatte jetzt Erfolg. Mit einer Freilassung kann er wohl dennoch nicht rechnen, weil er inzwischen in der geschlossenen Psychiatrie sitzt und als krank gilt. Er unterliegt im rechtlichen Sinne nicht mehr der Sicherungsverwahrung. (dapd)