Essen. .
Das angekündigte Tauwetter wird zeigen, welche Schäden der Frost wieder auf Straßen und Gehwegen hinterlassen hat. Lockere Platten und tiefe Krater in der Fahrbahndecke sind schon jetzt allerorten zu entdecken - doch das Schlimmste kommt erst noch.
Bis zum Wochenende steht uns in Deutschland ein erheblicher Wetterwechsel bevor: Nach wochenlangen Minusgraden bringen die Tiefdruckgebiete Arno und Benjamin am Samstag bis zu 14 Grad. Es könnten Frühlingsgefühle aufkommen, würden Meteorologen nicht Regenmengen von 20 bis 50 Litern Regen pro Quadratmeter voraussagen. Immerhin lassen milde Luft und starker Regen das Eis auf den Straßen schmelzen. Unter der grau-weißen Schicht werden dann endlich wieder Parkplätze zum Vorschein kommen – aber auch die Schlaglöcher, die nach jedem Winter erneut zum Slalomfahren zwingen. „Es sieht so aus, dass es alles in allem noch ein bisschen schlimmer als im letzten Winter kommt“, fürchtet Ulrich Finger vom Tiefbauamt der Stadt Dortmund. „Die Straßen werden uns richtig um die Ohren fliegen.“
Kaputte Straßen
In den Städten herrscht bis jetzt die Ruhe vor dem Sturm. „Es ist noch nicht viel zu sehen“, sagt Michaela Lippek, Mitarbeiterin des Presseamtes der Stadt Essen. Und auch Joachim Schulte, Chef der Stadtentwässerungsgesellschaft (SEG) in Schwerte, ist bisher locker: „Eine seriöse Einschätzung ist noch nicht möglich.“ Bislang bedecken Schnee und Eis die Straßen und Gehwege. Wie viele Schäden sich darunter verbergen, kann erst ermittelt werden, wenn die Schichten weggetaut sind.
In Duisburg bisher 855 Schlaglöcher
Trotzdem prüfen in größeren Städten schon jetzt so genannte Straßenbegeher, welche Löcher sich auf den Verkehrswegen auftun. In Oberhausen zum Beispiel laufen sechs Mitarbeiter der Wirtschaftsbetriebe die Straßen ab, in Duisburg inspizieren 17 Begeher die Fahrbahndecken, in Essen sind es sogar 20. Sie melden den zuständigen Leitstellen gefährliche Löcher in der Fahrbahndecke oder lockere Bodenplatten auf Gehwegen. Zusätzlich gehen Anrufe der Bürger ein, die den Städten ebenfalls Schäden melden. Seit Neujahr gehen in Essen etwa 200 Meldungen von Mitarbeitern und Bürgern ein, sagt Michaela Lippek. In Duisburg gab es bis Februar 2010 sogar 1900 auszubessernde Stellen, allein in diesem Winter sind schon 855 Schlaglöcher zu Tage gekommen.
Was für Autos nicht gut ist, kann bei Fußgängern zu umgeknickten Knöcheln oder zu Stürzen führen und für Motorradfahrer gar lebensgefährlich sein: So klafft auf der Altenhagener Brücke in Hagen ein 20 Zentimeter breiter Krater, der Kradfahrer gehörig ins Schleudern bringen kann. Ein ähnliches Bild bietet sich in Dortmund und Duisburg, in Bochum, Mülheim, Wesel und Rheinberg, um nur einige zu nennen - überall im Land stellen tiefe Löcher Schadens- und Unfallrisiken dar.
Provisorische Ausbesserungen
Momentan behelfen sich die Städte mit Warnschildern, Tempolimits und einer Bitumenmasse, dem Kaltasphalt. „Provisorisch kann man immer was machen“, sagt Michaela Lippek. Die Stadt Essen verfügt jährlich über zwei Töpfe à zwei Millionen Euro für die Straßenerhaltung und -erneuerung. Der eine Topf steht für kleine Reparaturen zur Verfügung, der andere für die Sanierung großer Straßen. Am Ende des Jahres, so Lippek, sind beide Töpfe regelmäßig leer. Für gründliche Sanierungen müsste mehr Geld zur Verfügung stehen. „Immerhin haben wir 2010 alles repariert bekommen.“ Andere Städte müssen mit noch weniger Geld haushalten. Duisburg zum Beispiel hat für die Ausbesserung seiner Straßen nur 2,3 Millionen Euro zur Verfügung, im vergangenen Jahr waren es sogar nur 1,5 Millionen. Dabei ist Duisburg 20 Quadratkilometer größer als Essen.
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Also greifen die klammen Städte zunächst auf den günstigen Kaltasphalt zurück. Der füllt die größten Löcher zwar für nur 40 bis 50 Euro auf, hält aber höchstens sechs Monate. „Damit schließt man nur Löcher, die eine akute Gefahr darstellen“, sagt Joachim Selzer vom Straßen- und Tiefbauunternehmen Heikaus in Krefeld. Die Firma saniert Straßen am linken Niederrhein. „Um ein Schlagloch dauerhaft zu füllen, muss richtiger Asphalt, also Heißasphalt, eingefüllt werden.“ Ein solcher Flicken ist ebenfalls noch erschwinglich -ein befüllter Quadratmeter kostet etwa 300 Euro und hält bis zu sieben Jahren. Wenn ihn der nächste Frost nicht schon wieder aus der Fassung sprengt: An den Kanten dringen schnell Regen und Tauwasser ein. Gefriert das Wasser dort, dehnt es sich in den Ritzen aus und lockert das Straßengefüge erneut. Ein neues Schlagloch an der selben Stelle ist programmiert.
Neue Fahrbahndecken versprechen da längerfristige Abhilfe, doch kosten sie auch mehr: Schon bei einer nur fünf Meter breiten Anliegerstraße summieren sich die Kosten auf bis zu 10 000 Euro auf hundert Metern. „Dafür fehlt es den Städten an Geld“, sagt Selzer. „Doch wenn man jetzt nichts macht, sind die Kosten im Folgejahr um ein Vielfaches höher.“ Zwar seien dank Konjunkturpaket II im vergangenen Jahr mehr Sanierungen ausgeführt worden als sonst. Doch der Diplom-Ingenieur befürchtet, dass im Gegenzug 2011 kaum in die Straßen investiert werde. „Dabei müsste jede 50. Straße in NRW pro Jahr erneuert werden, um das Netz überhaupt intakt zu halten. Momentan ist es nur ein Prozent. Man lässt die Infrastruktur sehenden Auges verrotten.“