Essen. .
Clemens Tönnies, Europas größter Fleischvermarkter, steht zwar nicht mehr wegen Betruges vor Gericht, dafür aber wegen Eitkettenschwindels. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs schloss das Gericht aus, da kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.
Jetzt ist es nicht einmal mehr Betrug. Und das ist für die Anwälte von Clemens Tönnies, dem größten Schweinefleischvermarkter Europas aus Rheda-Wiedenbrück, ein nicht gering zu schätzender Erfolg in einem Verfahren, das reich ist an Irrungen und Wirrungen.
Von einst 24 schwerwiegenden Vorwürfen der Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität ist jetzt auch der letzte schwere Vorwurf, der des Betrugs, weggefallen. Das ist für Tönnies, Aufsichtsratschef von Schalke 04, eine gute Nachricht. Die schlechte: Die Kammer des Essener Landgerichts eröffnet gleichwohl ein Hauptverfahren gegen insgesamt 13 Beschuldigte, zwar nicht wegen Betrugs, aber wegen des Verstoßes gegen das Lebensmittelrecht. Jetzt geht es um den Verdacht der falschen Etikettierung.
Manipulation beim Hackfleisch?
Wenn es den Anwälten der Angeklagten nicht gelingt, das Verfahren mit europarechtlichen Einwendungen abzuwenden, sitzt Tönnies mit zwölf leitenden Angestellten Ende Februar oder Anfang März in Essen auf der Anklagebank. Der Vorwurf der Anklage: Die Manager des Unternehmens sollen gemischtes Hackfleisch an Discounter geliefert haben, das weniger Rind enthalten habe als auf der Verpackung angegeben.
In einer Presseerklärung des Landgerichts heißt es, statt einer Mischung von 45 Prozent Rind und 55 Prozent Schwein sollen die Beschuldigten daran mitgewirkt haben, dass der Rindfleischanteil bei 25 bis 36 Prozent gelegen habe. Und zwar zwischen den Jahren 2004 bis 2007 in 175 Millionen Verpackungen.
„Kein wirtschaftlicher Schaden“
Tönnies’ Anwalt, der renommierte Strafverteidiger Sven Thomas, weist die Vorwürfe zurück, weil sie nicht in Einklang mit den europäischen Bestimmungen stünden. Was den Vorwurf einer angeblich fehlerhaften Etikettierung anginge, „sind wir uns sicher, dass die betreffende Produktreihe im Einklang mit bestehendem europäischen Recht etikettiert wurde“, so Thomas. Daher habe man bei der Essener Kammer die Vorlage des Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof (EuGh) beantragt. Tönnies selbst „hofft nun auf ein baldiges Ende des gesamten Verfahrens“, heißt es in einer Erklärung. „Entscheidend ist, dass der schlimme Vorwurf des angeblichen Betrugs von der Kammer als nicht haltbar bewertet wurde“, so Tönnies.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs schloss die Kammer aus, da kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei: weil die Discounter alle Packungen verkauft hätten; weil auch für die Kunden kein Schaden entstanden sei, da der Preis für Schwein und Rind beim Hack gleich niedrig sei, so Gerichtssprecher Mathias Kirsten. Ein Beispiel aus der Juristerei: Wenn einer einen Apfelsaft bestellt, aber eine Apfelschorle bekommt, die dasselbe kostet, entsteht kein wirtschaftlicher Schaden. Kirsten ist sich sicher, dass die Verhandlung trotz des Antrags auf EuGh-Vorlage beginnt, eine Aussetzung schloss er aber nicht aus.
Spektakuläre Durchsuchungsaktionen
Damit geht einer der spektakulärsten und dubiosesten Fälle der Kriminalgeschichte dem Ende entgegen. Es ist eine Geschichte, die mit spektakulären Durchsuchungsaktionen begann, mit einem Strauß von harten Betrugsvorwürfen, von denen nun nichts geblieben ist. Schon der Beginn des Verfahrens, ausgelöst durch ein anonymes Dossier eines früheren Mitarbeiters von Tönnies, der bei diesem in Ungnade gefallen war und später bei dem Konkurrenten Vion unter Vertrag gestanden hatte, wirft Fragen auf. Die Verbindung des inzwischen verstorbenen W. zu Vion sei nie aufgeklärt worden, so Anwalt Thomas. Und das, wo doch Vion zuvor Tönnies ein Übernahmeangebot gemacht habe, was der Unternehmer nach eigenen Angaben abgelehnt hat. Noch fragwürdiger sei die Mitarbeit eines Staatsanwalts aus Oldenburg an der anonymen Strafanzeige, was Thomas dazu brachte, von einem „staatlich inszenierten“ Verfahren zu sprechen.
Seltsam auch nächtliche Manipulationen eines Eichbeamten an einer Fleischwaage, die auf Video festgehalten sind. Just zwei Wochen nachdem derselbe Eichbeamte diese Waage bei der Durchsuchung versiegelt hatte. Tönnies sagte 2009: „Wenn es das Video mit der Manipulation des Eichbeamten nicht gäbe und uns das angehängt worden wäre, wir wären heute fertig.“ Tönnies kämpft seit drei Jahren um seine Reputation, bisher erfolgreich.