Essen. Weitere Todesfälle in Mexiko, immer neue Verdachtsfälle - auch in NRW: Die Schweinegrippe breitet sich aus, und Gesundheitsexperten warnen vor der realen Gefahr einer Pandemie. DerWesten erklärt, wie sich NRW auf den Ernstfall vorbereitet.
Was ist eine Pandemie?
Experten unterscheiden zwischen den normalen, jedes Jahr auftretenden Grippewellen – der „saisonalen Influenza“ – und einer weltweiten schweren Grippeepidemie: der Pandemie. Diese kann auftreten, wenn ein neuer Untertyp des Influenzavirus auftaucht, gegen den noch niemand Antikörper bilden konnte, der sich aber von Mensch zu Mensch überträgt. Bereits seit dem vermehrten Auftreten der Vogelgrippe beim Menschen befürchteten Experten, dass es in näherer Zukunft eine Epidemie geben könnte. Das Vogelgrippevirus überträgt sich jedoch bislang nicht von Mensch zu Mensch – im Gegensatz zur jetzt grassierenden Schweinegrippe.
Was bedeuten die „Warnstufen“, von denen man zurzeit häufig hört?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilt eine entstehende Pandemie in sechs verschiedene Phasen ein, an denen sich auch die Gesundheitsbehörden in Deutschland orientieren:
Stufe 1: Ein neues Virustyp ist bei Tieren aufgetreten, aber noch nicht bei Menschen. Das Risiko einer Erkrankung von Menschen wird als gering eingestuft.
Stufe 2: Noch immer gibt es keine Krankheitsfälle beim Menschen, aber ein Ansteckungsrisiko ist zu befürchten.
Stufe 3: Ein neuer Subtyp des Grippevirus verursacht auch menschliche Erkrankungen. Übertragungen von Mensch zu Mensch gibt es jedoch noch nicht, oder nur vereinzelt.
Stufe 4: Die Ansteckungen von Mensch zu Mensch nehmen zu.
Stufe 5: Es gibt Belege für erhebliche Mensch-zu-Mensch-Übertragungen.
Stufe 6: Die Mensch-zu-Mensch-Übertragungen dauern an und breiten sich weltweit aus.
Erst in der sechsten Phase sprechen Experten von der eigentlichen Pandemie; die Stufen 1 und 2 gelten als „Interpandemische Periode“, die Stufen 3 bis 5 als „Pandemische Warnperiode“. Erste Schritte der Notfallpläne greifen bereits in der Warnperiode.
Wie lange dauert eine Pandemie?
Die WHO geht davon aus, dass eine Pandemie in zwei Wellen verläuft und etwa ein Drittel der Bevölkerung erkrankt. In der Vorlage für die kommunalen Notfallpläne geht man davon aus, dass jede Welle etwa acht Wochen dauert. Die zweite Welle trete erfahrungsgemäß in den drei Monaten nach der ersten auf, heißt es.
Wie ist Deutschland auf den Ernstfall einer Pandemie vorbereitet?
Es gibt in Deutschland einen Nationalen Pandemieplan, der abstrakte, allgemeine Empfehlungen enthält. Diese werden durch Pandemiepläne der Bundesländer konkretisiert. Die Pläne der Länder wiederum werden durch kommunale Notfallpläne ergänzt, die Maßnahmen in den einzelnen Städten und Kreisen festlegen.
Welche Maßnahmen sieht der Pandemie-Rahmenplan für NRW vor?
Was genau im Fall einer Pandemie geschieht, kann man vorher nicht sagen: „Der Pandemie-Rahmenplan regelt die Abläufe und Entscheidungskriterien für den Ernstfall, man kann das nicht vorab nach Schema F durchplanen“, erklärt Ulrich Lensing, Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums. So lange wie möglich sollen die lokalen Behörden, also beispielsweise Gesundheitsämter, ihre Entscheidungskompetenz behalten. Das, so Lensing, sei wichtig, weil die Situation in verschiedenen Regionen vollkommen unterschiedlich sein kann. „Sie können nicht die Lage in Essen mit der in einem ländlichen Gebiet in Ostwestfalen-Lippe vergleichen.“ Spätestens mit Beginn der Pandemie, also in Phase 6, wird jedoch ein interministerieller Krisenstab unter Federführung des Innenministeriums eingerichtet. „Er koordiniert alle Maßnahmen“, erklärt Lensing. Im schlimmsten Fall – wenn sich die Schweinegrippe massiv und flächendeckend ausbreitet – könne der Krisenstab aber auch fürs ganze Land geltende Entscheidungen treffen.
Wie wird die Versorgung mit Medikamenten sichergestellt?
Die Landesregierung hat bereits 6,35 Millionen Behandlungseinheiten antiviraler Medikamente im Wert von 67 Millionen Euro gekauft. Mit diesen können im Fall einer Erkrankung die Symptome behandelt werden. Die Medikamente werden an einem zentralen Ort gelagert und könnten im Ernstfall in kürzester Zeit ausgeliefert werden. „Das sind zum Teil fertige Medikamente, die direkt verabreicht werden können“, erklärt Ministeriumssprecher Lensing. Zum Teil würden aber auch große Mengen Wirkstoff eingelagert, der etwa von den Apothekern vor Ort zu Medikamenten verarbeitet werden kann. Bereits seit der Pandemie-Warnstufe 3 ist das Wirkstofflager rund um die Uhr erreichbar – auch das ist Teil des Notfallplans.
Woher bekomme ich im Ernstfall mein Grippe-Medikament?
So, wie sonst auch: „Die Entscheidung liegt beim Arzt“, sagt Ulrich Lensing, „der verschreibt das Medikament.“ Von vorsorglichen oder gar Vorratskäufen raten Experten ab: Zu leicht kann man die verschreibungspflichtigen Medikamente falsch dosieren.
Sind für den Ernstfall denn überhaupt genug Medikamente vorhanden?
Der Ministeriumssprecher beruhigt: „Die 6,35 Millionen Therapieeinheiten reichen für 30 Prozent der Bevölkerung. Und die WHO geht von einer 30-prozentigen Erkrankungsrate aus.“ Der zentrale Medikamentenvorrat reicht also rechnerisch genau für alle Erkrankten. Manche Kreise und Städte, Krankenhäuser und Unternehmen hätten aber auch eigene Vorräte angelegt, erklärt Lensing. „Im Ernstfall sind also Medikamente für mehr als 30 Prozent der Bevölkerung da.“
Wie sieht’s mit Impfungen gegen die Schweinegrippe aus?
Bislang gibt es keinen Impfstoff gegen den mutierten Virustyp, und die Pharmahersteller gehen davon aus, dass er auch frühestens in drei bis sechs Monaten in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird. Sobald es aber einen Impfstoff gibt, sollen alle Einwohner von NRW zweimal geimpft werden. In den einzelnen Städten und Kreisen werden dann „Stammimpfstellen“ eingerichtet, beispielsweise in den Gesundheitsämtern. Es gebe bereits jetzt Vereinbarungen, die beispielsweise die Mithilfe niedergelassener Ärzte bei den Impfungen regeln, berichtet Ulrich Lensing.
Werden jetzt alle Großveranstaltungen in NRW abgesagt?
Das ist bislang noch überhaupt nicht abzusehen. „Ich würde das jetzt nicht überdramatisieren“, sagt Ulrich Lensing. Die kommunalen Behörden sollen das so lange wie möglich selbst entscheiden können: Gibt es beispielsweise in einer Stadt besonders viele Krankheitsfälle, kann das Gesundheitsamt Schulen schließen oder Fußballspiele absagen. Nur im „worst case“, so Lensing, werde der Krisenstab im Innenministerium ein allgemeines Versammlungsverbot aussprechen.
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