Rom. .

Benedikt XVI. hat mit seiner Aussage, Kondome seien akzeptabel zur Vermeidung von Aids, nichts Revolutionäres verkündet. Und bei der Geburtenkontrolle bleibt er hart. Aber die Kirche ist nun wieder näher bei den Menschen.

Auf den ersten Blick scheint es, als habe Papst Benedikt XVI. mit seiner Erlaubnis, Kondome zur Verhinderung von Aids in Einzelfällen benutzen zu dürfen, ein Tor aufgestoßen. Bei genauerem Hinsehen zeigen die Passagen in dem neuen Buch des Papstes jedoch, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche erstmal nur ein kleines Türchen geöffnet hat. Weltweit machte der Papst am Wochenende Schlagzeilen mit dem Zugeständnis, dass der Gebrauch von Präservativen „im einen oder anderen Fall in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern“, ein erster Schritt sein könne, zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität. Viele Kommentatoren überschlugen sich und werteten die Aussagen als Kehrtwende bei dem Thema Geburtenkontrolle. Die katholische Kirche sei endlich in der modernen Gesellschaft angekommen.

Tatsächlich aber bricht der Papst nicht mit dem alten Denken. Seine Argumentation basiert auf der Logik des Theologen Thomas von Aquin aus dem 13. Jahrhundert. Papst Benedikt macht klar, dass das Thema Geburtenkontrolle außen vor bleibt und kommt zu dem Schluss, dass die Verwendung von Kondomen keine „wirkliche und moralische Lösung“ ist. Sie ist - in Ausnahmefällen - das kleinere Übel.

Ein Interview ist kein offizielles Vatikan-Dokument

Viele führende katholische Geistliche kamen zu diesem Schluss schon vor Jahren, und viele Priester in Afrika machen schon lange keinen Hehl daraus, den Gebrauch von Kondomen zur Aids-Prävention zu befürworten. Eine Kommission des Vatikans beschäftigte sich vor vier Jahren mit dem Thema, ließ den Bericht aber Vatikan-Kreisen zufolge aus Sorge vor Missverständnissen in der Schublade verschwinden.

Es ist also das erste Mal, dass sich ein Papst derart öffentlich äußert. 2009 war Benedikt noch heftig in die Kritik geraten, als er auf einer Afrika-Reise sagte, das Problem Aids könne nicht mit der Verteilung von Kondomen gelöst werden. „Im Gegenteil, dies verstärkt nur das Problem.“

Um die katholische Lehre in diesem Punkt weniger kalt und unabdingbar aussehen zu lassen, bediente sich Benedikt eines Tricks. Er wandte sich an den deutschen Journalisten Peter Seewald, aus Bayern wie er und Katholik, und führte mit ihm ein langes Gespräch. Es ist die Basis für das Buch „Licht der Welt“, das am Dienstag offiziell herauskommt. „Die Kirche musste die Klarstellung auf eine Art und Weise veröffentlichen, die kein offizielles Dokument ist“, sagt der britische Journalist Austen Ivereigh. So habe der Papst etwas mitteilen können, was wie eine Kehrtwende aussehe, aber eigentlich nur das Offensichtliche wiedergebe.

Nur „begründete Einzelfälle“

Benedikt betont, dass wegen des Gebrauchs von Kondomen viele Menschen in der Sexualität nicht mehr den Ausdruck ihrer Liebe fänden, sondern nur noch eine Art von Droge, die sie sich selbst verabreichten. „Es mag begründete Einzelfälle geben“, fährt der Papst fort, „etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will.“

Das Wort „Prostituierter“ sorgte für Gesprächs- und Zündstoff. Noch beschränkt der Papst den Gebrauch von Kondomen offenbar auf homosexuelle Männer. Es könnte aber Türöffner für andere Gruppen und Themen sein. „Wenn der Papst seine Haltung zu Kondomen ändert, warum kann er das dann nicht auch bei Frauenrechten, der Gleichstellung von Schwulen, Fruchtbarkeitsbehandlungen und Stammzellenforschung bei Embryonen tun“, fragt Peter Tatchell, britischer Schwulenrechtler.

Der Pontifex habe insofern eine Tür aufgestoßen, als das die grundsätzliche Frage „Kondome ja oder nein“ nun in den Hintergrund trete und die Kirche sich mit größerer Glaubwürdigkeit Gehör verschaffen könnte, urteilt Ivereigh. „Die Leute haben einfach aufgehört, der Kirche bei diesem Thema zuzuhören. Sie fanden die Haltung dogmatisch und unmenschlich“, sagt Ivereigh. „Jetzt kann die Kirche an der Diskussion wieder teilnehmen.“ (rtr)