Kaprun/Vilseck. .

Selbst zehn Jahre nach dem Brand in der Gletscherbahn von Kaprun können Überlebende und Angehörige der 155 Opfer nicht mit der Katastrophe abschließen. Ein Schuldiger wurde noch nicht gefunden.

Hermann Geier hat überlebt. Er ist rausgekommen aus dem Feuerinferno im Tunnel der Kapruner Gletscherbahn. Nur zwölf Menschen haben das ge­schafft. Zwölf von 162, die auf dem Weg zum Gipfel waren. „Glück gehabt“, haben viele gesagt. Glück? Zwei Herzinfarkte hat der 73-Jährige aus dem oberpfälzischen Dorf Vilseck seitdem gehabt. Und Albträume. „Fast jede Nacht.“ Tunnel meidet er seit jenem 11. November 2000, wo er nur kann. Auch Zugfahrten sind ein Problem. Manchmal klappt er zusammen in der Bahn. Einfach so. „Warum habe ich überlebt“, fragt er, „und so viele andere nicht?“

Gedenkfeier zum 10. Jahrestag

In Kaprun wird dem zehnten Jahrestag der Seilbahnkatastrophe gedacht, bei der am 11. November 2000 insgesamt 155 Menschen ums Leben kamen. Zu der Gedenkfeier nahe der Talstation der Gletscherbahnen werden neben Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann auch zahlreiche Angehörige der Todesopfer sowie Überlebende erwartet. Im Anschluss soll ein ökumenischer Gottesdienst stattfinden. (afp)

„Mein Vater ist ein gebrochener Mann“, sagt sein Sohn Bernd. Weil er die Bilder aus dem Tunnel nicht vergessen kann. Vor allem aber, weil die Schuld auch zehn Jahre nach dem Unglück kein Gesicht hat. Denn alle 16 Angeklagten hat der österreichische Richter Manfred Seiss 2004 freigesprochen. Und dann den Allmächtigen bemüht. „Da hat Gott wohl für ein paar Minuten das Licht im Tunnel ausgemacht.“

Konnte doch keiner wissen, dass es brennen würde

Keine Rede ist im Urteil mehr von fehlenden Nothämmern oder Sprechanlagen, nichts zu hören von einer leicht entflammbaren Innenverkleidung, die so starke Nervengifte freisetzt, dass noch in der drei Kilometer entfernten Station Menschen sterben. Für den Richter ist das Unglück eine Verkettung besonders unglücklicher Um­stände. Nichts, für das man die Geschäftsführung der Gletscherbahn, den Hersteller des Zugs oder den TÜV der Alpenrepublik haftbar machen könne. Konnte doch keiner wissen, dass es brennen würde. Hat ja vorher auch nie ge­brannt. Verantwortlich, so der Richter in Übereinstimmung mit österreichischen Gutachtern, sei vielmehr ein Heizlüfter aus deutscher Fertigung, der in die Kabine eingebaut worden war und aufgrund eines Produktionsfehlers die Bahn in Brand setzte. Der gute Ruf Österreichs als Skisportland ist gerettet.

Damit hätte der Fall Kaprun abgeschlossen sein können. Doch nun wollen die Bahnbetreiber Schadenersatz und zeigen „Fakir“ an, den Hersteller des Heizlüfters mit dem Namen „Hobby TLB“. Doch zum Entsetzen der Bahnbetreiber übergibt die Staatsanwaltschaft Salzburg die Er­mittlungen an die Kollegen in Baden-Württemberg. Und dort kann man sich nicht vorstellen, dass Gott jemals das Licht ausmacht. Nicht einmal für ein paar Minuten.

Deshalb setzt die deutsche Polizei Sonderermittler ein. Und obwohl sie sich mit zunächst vorenthaltenen oder manipulierten Beweisstücken herumplagen müssen, finden sie heraus: So wie im Verfahren beschrieben, kann der Brand nicht entstanden sein.

Fehler und falsche Einschätzungen

Denn der Heizlüfter sei nicht defekt gewesen, sondern falsch um- und unter Missachtung zahlreicher Sicherheitsvorschriften eingebaut worden. Der schlimmste Verstoß: Direkt neben dem glühenden Lüfter, der übrigens nie für den Betrieb in Fahrzeugen zugelassen war, verläuft eine poröse Hydraulikleitung des Zuges. Gefüllt ist sie mit hochexplosivem und schnell entflammbarem Petroleum-Öl.

Nach und nach zerpflücken die deutschen Experten die Arbeit der vier österreichischen Gutachter. Sie entdecken so viele Fehler, falsche Einschätzungen und Versäumnisse, dass sie ihren 55-seitigen Abschlussbericht mit dem Satz schließen, vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse wäre „ein anderer Ausgang des Prozesses“ zu erwarten gewesen.

Fürs LKA erledigt

Für das LKA ist die Sache damit zunächst erledigt. Für Hans Joachim Keim ist sie es nicht. Er ist Fachmann für Schadensfälle, spezialisiert auf Kunststoffe. Deshalb hat „Fakir“ ihn als Gutachter engagiert. Je mehr Ungereimtheiten Keim findet, desto weniger lässt ihn dieser Fall los. Deshalb forscht er zusammen mit seinem Kollegen Bernhard Schrettenbrunner auch weiter, als die Ermittlungen gegen „Fakir“ längst eingestellt sind. Ohne Auftrag, ohne Bezahlung, aber mit Ausdauer. Noch einmal nehmen die beiden die Gutachten aus dem Verfahren unter die Lupe. Dann erstatten sie Anzeige gegen die österreichischen Kollegen und gründen zusammen mit Hinterbliebenen wie Geier und einem Rechtsanwalt die Initiative „Gerechtigkeit für Kaprun“. „Da ist gezielt vertuscht worden“, sagt Keim. „Das kann ich nicht ertragen.“

Immer neue Beweise für Fehler und Schlamperei tragen Keim und seine Mitstreiter zusammen. Doch die österreichische Justiz reagiert bisher nicht, spricht stets nur von absurden „Verschwörungstheorien“.

„Die wollen die Sache einfach aussitzen“, ist Geier überzeugt. Doch das will die Initiative nicht zulassen. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist sie deshalb gezogen und will auch in den USA klagen. „Wir werden“, kündigt Geier an, „nicht aufhören zu kämpfen. Das sind wir den Opfern schuldig.“