Sedrun. 15 Jahre nach dem Baubeginn ist der Gotthard-Basistunnel in der Schweiz jetzt komplett . Am Freitag gelang der Durchstich. Mit insgesamt 57 Kilometern Länge ist er der längste Tunnel der Welt.
15 Jahre nach dem Baubeginn ist der Gotthard-Basistunnel in der Schweiz jetzt komplett . Am Freitag gelang der Durchstich. Mit insgesamt 57 Kilometern Länge ist er der längste Tunnel der Welt.
Als Renzo Simoni ein kleiner Junge war, wollte er Astronaut werden. Heute ist er 49 Jahre und Bauingenieur. Unter seiner Regie wächst und gedeiht der Gotthard-Basistunnel. Statt hoch am Himmel liegt sein Arbeitsplatz tief in der Erde. In dieser Woche werden Politiker in ganz Europa loben, wie gut der Chef der Alptransit Gotthard AG seinen Job erledigt hat. Unter Renzo Simonis Regie haben 2000 Mineure, wie die Tunnelbauer heißen, den längsten Tunnel der Welt gebohrt.
Fest der Mineure - 2500 Meter tief unter dem Gipfel
27 Kilometer vom Nordportal und 30 Kilometer vom südlichen Eingang des Gotthard-Basistunnels, 2500 Meter unter dem Gipfel des Piz Vatgira, an der Quelle des Rheins, hat die riesige Bohrmaschine am Freitag gegen 14 Uhr die letzten 1,80 Meter Gestein weggeräumt. Die Bilder von dem Ereignis, das 200 Ehrengäste vor Ort bestaunten, wurden in eine Verkehrsministerkonferenz der EU nach Brüssel übertragen. Hier nimmt ein Jahrhundertbauwerk Form an, das für den Kontinent Bedeutung hat.
Renzo Simoni scheint schon die Sache mit den Ehrengästen zu viel: „Der Durchschlag ist das Fest der Mineure. Es ist noch nicht die Eröffnung.“ Hochgeschwindigkeitszüge und Europas Nord-Süd-Güterschienenverkehr werden das Felsfundament der Schweizer Alpen erst passieren können, wenn am Ende die Tunnelwände ausbetoniert, 190.000 Schwellen gelegt sind, 2800 Kilometer Kabel und 228 Kilometer Schienen. Das wird 2017 sein. Dann sind Deutschland und Italien, Rotterdam und Genua, das Ruhrgebiet und der Großraum Mailand deutlich besser als bisher miteinander verbunden – und damit schneller zu erreichen.
Es ist das große politische Ziel dieses Baus, der dramatisch wachsenden Frachtmengen Herr zu werden, die die Globalisierung gebracht hat. Sie sollen von der Straße auf die Bahn wechseln. 200 lange statt bisher 150 kürzere Güterzüge sollen täglich mit Tempo 160 durch den Gotthard rollen – eine Verdoppelung der Kapazität. Und statt 1,2 Millionen Lkw pro Jahr sollen noch gerade 650.000 durch die Schweizer Alpentäler röhren, zum Umsteigen gezwungen auch durch die eidgenössische Schwerverkehrsabgabe, die eine Tour durch die Berge um Hunderte Euros verteuert.
Bauen mit vier Riesen-Bohrern
Heute noch ist auf den Terrassen der Cafés von Erstfeld kein ruhiges Gespräch möglich. Die Autobahn, die alte Bahnlinie und der Gebirgsfluss Reuß veranstalten Tag und Nacht ihr gemeinsames Höllenspektakel. Das soll anders werden.
In 80 Sekunden Fahrt hat der Aufzug die 800 Meter Schacht zwischen dem Bündner Bergdorf Sedrun und der Tunnelsohle bewältigt. Grelles Neon macht die „Multifunktionsstelle“ hell. Heiß ist es. Der Berg, der sich vor 12 bis 14 Millionen Jahren geschichtet hat, rächt sich an den Eindringlingen mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius. Und seine Rache kann noch ganz anders ausfallen – wenn auch nicht mehr so wie vor 100 Jahren, am 24. Juli 1908, als der Lötschbergtunnel in der Nachbarschaft in seinen Leib getrieben wurde, bei einer Sprengung die Decke einstürzte und man seither in einem Bogen um die 25 Leichen der Italiener fährt, die im Gemisch aus Schutt und Wasser erstickten.
Der Gotthard-Basistunnel
In diesem März, um fünf Minuten nach zwei Uhr nachts, kam es am Gotthard zum Alarm, erzählt Simoni. „Der Berg entleerte sich einfach.“ Unmengen von losem Gestein fielen von oben auf den zehn Meter hohen und 400 Meter langen Bohrkopf und verschütteten „Heidi“. Macht sie sonst bis zu 20 Meter am Tag, ging jetzt nichts mehr. Doch weil der Basistunnel in zwei Röhren durch den Alpenkamm gestoßen wird, griffen die Ingenieure zur List. Sie überholten die Bruchstelle im Parallelstollen mit „Gabi“, dem zweiten der vier Bohrer, trieben ein Loch seitlich in den Fels und befreiten die Mega-Maschine von vorne. Fünf Monate Bauverzögerung hat das gekostet. Wertvolle Zeit, die den Preis von neun Milliarden Franken für das inzwischen acht Jahre verspätete Gesamtprojekt noch einmal in die Höhe treiben wird.
14 Millionen Jahre altes Gestein
Man hat am Tunneleingang die Statue der Heiligen Barbara aufgestellt, der Patronin, die auch ihre Hand über die Kumpel des Ruhrreviers hält. Dennoch bezahlten elf Mineure seit Beginn der Bauzeit vor 18 Jahren den Job mit dem Leben. „Vor der Hacke ist es dunkel“, sagt Tunnelbauer Renzo Simoni. „Man weiß nie, was passiert.“ Der junge Elektriker aus Thüringen, für den Zustand der Maschinen zuständig, macht mit, weil die Auftragslage zu Hause mau war und die Alpen-Gegend schön ist und er wie 300 weitere Deutsche gute Fränkli verdienen kann.
Auch Peter Amacher ist da. Der 55-jährige ist Geologe, Liebhaber von Kristallen. „Kristallsuchen macht mich süchtig“, gesteht er. Seit Jahren folgt er den Mineuren immer tiefer ins Gebirge. Jedes Mal holt er Anhydrite, Calcite, Brookite heraus. 14 Millionen Jahre alte Steine. Europas Vergangenheit. Amacher stellt sie im Schloss „A Pro“ bei Seedorf an der Reuß aus. Die Schweiz hat nach Matterhorn und Käse eine weitere Attraktion: den Gotthard-Schatz.