Mülheim. .
Für Bundespräsident Christian Wulff gehört der Islam wie das Christen- und Judentum zu Deutschland. Beim Jugend-Dialog in der Mülheimer Wolfsburg wurde darüber heftig diskutiert.
Die Rede des Bundespräsidenten zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit hat im politischen Berlin manchen Widerspruch ausgelöst. Doch nirgendwo ist so engagiert, so offen und – stellenweise auch - so hitzig über seine Sätze zum Islam gestritten worden, wie in dem Jugend-Dialog in der katholischen Akademie „Wolfsburg“ in Mülheim am Dienstagabend. Es war Rafet Öztürk, Dialog-Beauftragter der Ditib (türkisch-islamische Union), der in einer Diskussion über die Zukunft der Religionen die Frage aufwarf, um die sich alles dreht: Ist Deutschland ein christliches Land? „Die Menschheits-Familie“, befand Öztürk und löste damit massiven Widerspruch aus, „ist nicht begrenzt auf Religions-Gemeinschaften.“ Zu den Kulturträgern gehörten auch die türkischen Übersetzer antiker Autoren und Philosophen. Und schon hatte er einen heftigen Disput über die umstrittenen Sätze von Bundespräsident Christian Wulff ausgelöst.
Der hatte am Sonntag in seiner Rede festgestellt: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Christlich-jüdische Geschichte
Der junge Muslim Younes Ouaqasse, ehemaliger Bundesvorsitzender der Schüler Union, verstand in Mülheim die Aufregung darüber nicht. „Deutschland hat eine christlich-jüdische Geschichte, keine muslimische“, erklärte er. „Dass vier Millionen Muslime in Deutschland sind, ist keine so große Zahl. Aber ich habe nicht Wulffs Rede bedurft, um das zu erkennen.“ Und auch Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, der ebenfalls auf dem Podium saß, stimmte Wulff zu. „Deutschland ist in seiner Tradition, in der Geschichte, ein christliches Land. Selbst diejenigen, die keiner Konfession angehören, sind von der christlichen Kultur geprägt.“ Es sei jedoch eine große Herausforderung, mit einer Gruppe zu zusammen zu leben, die einer anderen Religion angehört, sagte er. Aber Christen wie Muslime würden davon profitieren, diese Herausforderung anzunehmen. „Das ist ein Geben und Nehmen, das hoffentlich für alle ein Gewinn ist.“
Doch damit waren längst nicht alle auf dem Podium und in den Zuhörer-Reihen einverstanden. Mit lauter Stimme warf ein junger Muslime aus dem Publikum – es waren rund 100 junge Christen und Muslime – ein: „Was hat Deutschland für eine Geschichte? Eine christliche und eine jüdische. Das sendet mir zwei Signale aus: Erstens: Muslime sind nur zu Gast hier. Zweitens: Wir sind stolz auf diese Geschichte. Beide Signale sind aber falsch. Es sollte heißen: Deutschland hat eine friedliche Geschichte.“
Muslime nehmen ihren Glauben sehr ernst
Dabei waren die Teilnehmer des Projekts „Jugend-Dialog 2020“ eigentlich gekommen, um über die Bedeutung und die Zukunft der Religionen zu debattieren. Organisiert haben dieses Dialog-Projekt, bei dem noch junge Leute mitmachen können, die Wolfsburg, die Stiftung Mercator und die Landeszentrale für politische Bildung. Die Teilnehmer aus verschiedenen Kulturen und unterschiedlicher Herkunft erarbeiten jeweils die Themen, die ihnen für ein Zusammenleben wichtig sind - in Arbeitsgruppen und übers Internet. Für die Schluss-Präsentation werden sie jeweils mit Gesprächspartnern aus Politik, Kirche oder anderen gesellschaftlichen Bereichen zusammengebracht. Und diesmal standen die Religionen im Mittelpunkt.
Dabei wurde sehr schnell klar, was in Kirchen und in Moscheen unterschiedlich läuft: Den Kirchen kehren immer noch jedes Jahr tausende Christen den Rücken, während die allermeisten Muslime, auch junge, ihren Glauben sehr ernst nehmen. Gründe dafür suchte Ruhrbischof Overbeck in einer der kleinen Diskussionsrunden: „Es gibt bei uns eine wachsende Skepsis gegenüber Institutionen und gegenüber der Tradition,“ analysierte er. Betroffen seien auch die Parteien. Nach 200 Jahren sei die Aufklärung nun im Alltagsleben der Menschen angekommen.
Auf Werte haben Kirchen kein Monopol
Ganz und gar nicht einverstanden war Sven Speer, der an der Universität in Münster arbeitet und sich als Atheist vorstellte, mit der Rolle der Religion. Die Menschen hätten viel an Freiheit gewonnen, seit sie die Religion infrage gestellt haben, befand er. Auf Werte wie Nächstenliebe hätten die Kirchen kein Monopol, das sei vielmehr allgemeiner Konsens. Ein Zuhörer bezeichnet ihn daraufhin etwas provozierend als „Schwarzfahrer auf dem Trip der Werte“.
Doch bei dem freundlichen Meinungsaustausch blieb es nicht lange. Als es um die Frage nach einem muslimischen Religionsunterricht ging, brach sofort heftiger Streit aus. Der ehemalige Vorsitzende der Schüler-Union sprach massiv gegen den islamischen Reli-Unterricht. „Islam-Unterricht hat in deutschen Schulen nichts zu suchen“, beharrte er. Das sei Sache der Moscheen. Es gebe keine Lehrer, keine Lehrbücher und keine Ansprechpartner für die Lehr-Inhalte. „Wenn Christen evangelischen oder katholischen Religonsunterricht haben, sollten Muslime in den Ethik-Unterricht.“
Moderator Olli Briesch musste schlichten
Da widersprach sogar der Atheist Speer. „Der Religions-Unterricht ist eine gute Sache. Man sollte es ausweiten, jede Religions-Gemeinschaft in Deutschland sollte das machen können.“ Da bedurfte es schon einer souveränen Gesprächsführung, wie sie Olli Briesch. Live-1-Moderator, an den Tag legte, damit die Diskussion nicht ausuferte.
Doch am Ende waren die Zuhörerinnen und Zuhörer offensichtlich zufrieden. „Ich habe gemerkt, in welche Richtung Integrations-Arbeit gehen sollte“, fand die 20-jährige Saidi Meriam aus Duisburg. Und viele ebenso viele Anregungen nahmen ihre Freundinnen Baraa Boukarma und Soheila Lahchaichi mit.