Berlin. .

Die Bundesregierung scheint im Fall Steinbach vorerst nicht einschreiten zu wollen. Oppositionspolitiker fordern die Abberufung der CDU-Politikerin aus dem Menschenrechts-Ausschuss. Die polnische Regierung ist mit den Reaktionen zufrieden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hält den Fall der umstrittenen Äußerungen der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach über Polen und den Zweiten Weltkrieg offenbar für erledigt. „Diese Äußerungen...sind sehr weitgehend interpretiert worden, auch über das Maß hinaus, das eigentlich da eine Interpretation verträgt. Die Frage der Kriegsschuld stellt sich für die Bundeskanzlerin und die Regierung nicht“, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Die Frage der deutschen Kriegsschuld steht fest, seit langem und für immer“, betonte Seibert. „Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg ausgelöst, Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg verschuldet und damit großes Leid über die Völker der Welt gebracht. Dieses bestreitet im übrigen auch Frau Steinbach nicht.“ Die polnische Regierung wisse um diese Position der Regierung.

„Für die Bundesregierung besteht kein Handlungsbedarf“, sagte Seibert mit Blick auf die Arbeit der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Der Bund der Vertriebenen (BdV) hat dort zwei stellvertretende Mitglieder für den Stiftungsrat benannt, deren Äußerungen über eine Mobilmachung Polens vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Auslöser einer Debatte waren. Seibert verwies darauf, dass der Stiftungsrat nicht von der Bundesregierung eingesetzt werde. „Die Bundesregierung hofft, dass die Stiftung eine gute Arbeit abliefern kann. Sie hofft, dass nichts diese Arbeit von außen negativ beeinflusst.“

Steinbach hatte am Mittwoch in der Fraktionsklausur der Union gesagt: „Und ich kann es auch leider nicht ändern, dass Polen bereits im März 1939 mobil gemacht hat.“ Die Äußerung fiel im Zusammenhang mit einer Aussprache über die umstrittene Entsendung der CDU-Politiker Arnold Tölg und Hartmut Saenger in den Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Nach Angaben des Vorsitzenden der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU), habe die CDU-Abgeordnete aber später klargestellt, dass sie die Schuld Deutschlands am Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht habe relativieren wollen. Steinbach kündigte am Donnerstag an, sie werde nicht mehr für den Parteivorstand kandidieren.

Wolfgang Bosbach wirbt um Verständnis für Erika Steinbach

Der Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach (CDU) wirbt um Verständnis für die Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach. Steinbach habe „nie die Schuld am Überfall auf Polen relativieren wollen“, sagte Bosbach am Freitag im Deutschlandfunk.

Bosbach sagte, er wisse nicht, warum gerade jetzt diese Debatte geführt werde. Denn die Teilmobilisierung in Polen 1939 sei doch eine Folge der aggressiven Außenpolitik von Adolf Hitler gewesen. Polen musste schon damals damit rechnen, von Deutschland angegriffen zu werden. „Es gibt keine Zweifel, dass Deutschland Polen überfallen hat“, fügte der CDU-Politiker hinzu. Das habe auch Steinbach immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht.

Vor diesem Hintergrund bedauerte Bosbach den Rückzug Steinbachs aus dem CDU-Bundesvorstand. Über den Posten der Fraktionssprecherin für Menschenrechte werde die Fraktion entscheiden. Der CDU-Politiker unterstrich, Steinbach sei zweifellos eine streitbare Frau und eine engagierte Kämpferin. Und es sollte nicht vergessen werden, dass sie sich gegen Bestrebungen der Preußischen Treuhand gewandt habe, Rückgabeansprüche für das Eigentum Vertriebener in Polen durchzusetzen. „Sie hat es verdient, ihre Lebensleistung nicht an einem einzigen Satz festzumachen.“

Steinbach sei eine Giftmischerin für die deutsch-polnische Aussöhnung

SPD und Grüne haben die CDU zur Abberufung Steinbachs aus dem Menschenrechts-Ausschuss des Bundestages aufgefordert. „Wer so unsensibel revisionistische Thesen verteidigt wie sie, ist nicht geeignet, in wichtigen menschenrechtlichen und historischen Fragen sachgemäß zu urteilen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, Spiegel Online. Steinbach sei eine Giftmischerin für die deutsch-polnische Aussöhnung.

Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel müsse sich dem Thema annehmen. „Angela Merkel muss einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und Frau Steinbach ziehen“, fügte Oppermann hinzu.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte in Mainz, Steinbach gehöre nicht in den Menschenrechts-Ausschuss. Die CDU-Politikerin sei „nicht geeignet“, Menschenrechtspolitik in dem Gremium glaubwürdig zu vertreten. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) müsse sich dazu klar positionieren.

Gregor Gysi legt der CDU einen Parteiausschluss nahe

Die Linkspartei forderte den Ausschluss Steinbachs aus dem Bundestag. Die kulturpolitische Sprecherin der Partei, Luc Jochimsen, erklärte: „Wir sind beide im Ausschuss für Kultur und Medien. Dessen Arbeit für Erinnerungskultur und Versöhnung verhöhnt Erika Steinbach mit ihrer neuen Geschichtsklitterung. Eine Zusammenarbeit mit ihr ist für mich nicht mehr möglich.“

Linksfraktionschef Gregor Gysi hat der CDU einen Parteiausschluss der Vertriebenen-Präsidentin nahegelegt. „Frau Steinbach hat sich völlig außerhalb des Tolerierbaren in unserer Gesellschaft begeben“, sagte Gysi am Freitag in Bad Saarow. Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel müsse nun entscheiden, ob man dies „wegtoleriere“ oder sage, „das ist in der CDU undenkbar“.

Steinbachs Hinweis darauf, dass dem Angriff Hitler-Deutschlands eine Mobilmachung Polens vorangegangen sei, sei ein „schwachsinniges, falsches, ahistorisches Argument“, kritisierte Gysi nach einer Klausur der Linksfraktion. Wenn Rechtsextremismus in Deutschland wirklich verhindert werden solle, „brauchen wir auch Hemmschwellen. Und wenn man keine Hemmschwellen setzt, dann weiß ich nicht, was ausbricht“, warnte Gysi.

„Wir sind zufrieden mit den Reaktionen der meisten deutschen Politiker“

Die polnische Regierung hat die Reaktionen in Deutschland auf die Äußerung der CDU-Politikerin und Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach zum Beginn des Zweiten Weltkriegs begrüßt. „Wir sind zufrieden mit den Reaktionen der meisten deutschen Politiker, vor allem mit denen der Regierungsvertreter, darunter Bundesaußenminister Guido Westerwelle“, sagte der Sprecher des polnischen Außenministeriums, Marcin Bosacki, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. „Das ist sehr erbaulich.“ Westerwelle (FDP) hatte erklärt, zweideutige Äußerungen, die die schwere Verantwortung Deutschlands am Beginn des Zweiten Weltkriegs in Frage stellten, seien nicht akzeptabel.

Die polnische Regierung hoffe nun, dass die „Mehrheit der gemäßigten deutschen Politiker“ aus dem von Steinbach ausgelösten Eklat auch Schlussfolgerungen für die Stiftung ziehe, sagte Außenamtssprecher Bosacki weiter.

Zentralrat der Juden erwartet von Horst Seehofer „klare Worte“

Der Zentralrat der Juden in Deutschland erwartet vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) beim Festakt zum Tag der Heimat in Berlin „klare Worte“ zu den umstrittenen Äußerungen. Dies sei wichtig, „um die Sorgen der Nachbarn nach dieser Blamage mit Frau Steinbach zu zerstreuen“, sagte der Zentralrats-Generalsekretär Stephan Kramer am Freitag der Nachrichtenagentur dapd. Seehofer will am Samstag die Festansprache beim zentralen Festakt des Bundes der Vertriebenen (BdV) zum Tag der Heimat 2010 halten.

Polen habe damals das in dieser Situation einzig Richtige getan

Der deutsche Historiker Heinrich-August Winkler wirft Erika Steinbach vor, mit ihren Äußerungen verfälsche sie die Geschichte. „Polen hat am 25. August unter dem Eindruck der ultimativen und erpresserischen Drohungen Hitlers eine Teilmobilmachung angeordnet“, sagte der Emiritus der Berliner Humboldt-Universität dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zum historischen Verlauf im Jahr 1939. „Am 30. August wurde dann die Generalmobilmachung angeordnet, da man auf polnischer Seite genauestens über die deutschen Kriegspläne informiert war.“

Winkler betonte, Polen habe damals das in dieser Situation einzig Richtige getan und sich der Erpressung Hitlers nicht gebeugt. „Andernfalls hätte Polen das gleiche Schicksal ereilt wie die Slowakei, die zu diesem Zeitpunkt bereits ein deutscher Satellitenstaat war.“ Die Äußerungen Steinbachs klängen so, „als ob nicht der Täter, sondern das Opfer der Schuldige ist“. (Reuters/dapd/epd/AFP)