Essen.
Verfassungsrechtler fordern nach dem Urteil von Schleswig-Holstein eine Änderung des Wahlsystems. Überhangmandate im Bundestag seien verfassungswidrig und gehörten abgeschafft.
Das Urteil des Landesverfassungsgerichts Schleswig Holstein, das am Montag das Wahlrecht des nördlichsten Bundeslands als nicht vereinbar mit der Landesverfassung erklärte, hat die Debatte um die dafür ursächlichen Überhangmandate auch auf Bundesebene angefacht.
Der Verfassungsrechtler Professor Hans Herbert von Arnim von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer sagte im Gespräch mit der WAZ: „Überhangmandate im Bundestag sind verfassungswidrig und gehören abgeschafft.“
Reine Überhangmandate hält auch Politikwissenschaftler Professor Ulrich von Alemann von der Uni Düsseldorf für problematisch, da sie „völlig irrational mal die eine und mal die andere Partei bevorteilen, was die Ergebnisse der Verhältniswahl verzerrt“.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei bei einer Wahl durch Direktmandate mehr Sitze im Parlament erhält, als ihr durch den Anteil von Zweitstimmen zustehen würden. Ein Beispiel: Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die CDU in Baden-Württemberg fünf Prozent an Zweitstimmen, konnte jedoch auf Grund der direkt gewonnenen Wahlkreise zehn Überhangmandate in den Bundestag einbringen. Diese „perversen Effekte“, die laut von Arnim bei engem Wahlausgang sogar Ausschlag gebend sein könnten, müsse das Bundesverfassungsgericht durch ein klares Urteil beenden.
Zwar kippte Karlsruhe im Juli 2008 eine Klausel im Wahlrecht, eine direkte Streichung der Überhangmandate verlangten die Richter jedoch nicht. Verfassungswidrig ist nur das negative Stimmrecht. Das bedeutet, dass unter bestimmten Bedingungen eine Partei trotz Stimmengewinn einen Abgeordnetensitz verlieren könnte.
Bis 2011 hat Bundestag Zeit für Änderung
Grund dafür sind die Überhangmandate. Bis 2011 hat der Bundestag Zeit, eine Änderung des Wahlrechts zu beschließen. „Sauber wäre es, die Überhangmandate abzuschaffen. Aber daran haben CDU/CSU und SPD kein Interesse, da sie immer wieder abwechselnd von ihnen profitiert haben“, sagt von Arnim.
Er schlägt vor. das Wahlsystem zu ändern und ein Grabensystem einzuführen. Eine Hälfte des Bundestags soll sich demnach nach Wahlkreisen, die andere nach Listenplätzen der Parteien zusammensetzen – aber ohne den aktuell üblichen Ausgleich durch Überhangmandate.
Momentan gibt es davon im Bundestag 24, noch 1987 gab es gerade einmal eines für die CDU. Damals urteilte das Verfassungsgericht übrigens, dass diese Mandate allenfalls in engen Grenzen zulässig seien und stufte das eine noch als verfassungskonform ein.
Dass sich die Regierung in Schleswig-Holstein erst 2012 Neuwahlen stellen muss, halten sowohl Hans Herbert von Arnim als auch Ulrich von Alemann für gerechtfertigt. Um das Wahlrecht zu ändern, müssten eben auch Wahlkreise neu zugeschnitten werden. Das kostet Zeit. Zudem hätte das Gericht ja auch auf einen früheren Termin bestehen können.