Islamabad. .
Die Flutkatastrophe in Pakistan hat ein ohnehin schon unstabiles Land weiter geschwächt. Inzwischen sind acht Millionen Menschen betroffen - und militante Islamisten profitieren davon.
Die Flutkatastrophe in Pakistan hat ein ohnehin schon unstabiles Land weiter geschwächt. Mindestens acht Millionen Menschen müssen mit sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln und Unterkünften versorgt werden. Die Wassermassen zerstörten in der pakistanischen Getreidekammer - den Provinzen Sindh und Punjab - die Ernte. Es ist die bisher folgenschwerste Naturkatastrophe, die Pakistan traf; dabei war das Land erst 2005 von einem verheerenden Erdbeben erschüttert worden.
Auch der Kampf gegen Al-Kaida und die Taliban könnte infolge der Katastrophe zunehmend schwieriger werden. Schließlich profitieren militante Islamisten von der wachsenden Unzufriedenheit der Pakistaner mit ihrer Regierung.
Jahre des Elends befürchtet
Auch interessant
Millionen Pakistanern drohen nach der Flutkatastrophe Monate oder gar Jahre des Elends. Noch immer erreicht internationale Hilfe die Betroffenen nicht schnell genug. Die Lebensmittelpreise explodieren in einem Land, das sowieso eine hohe Inflation hat. Der Unmut der Bevölkerung gegen die Regierung wächst.
„Die Gefahr ist sehr groß,“ sagte der US-Senator John Kerry, der Pakistan vergangene Woche besuchte. „Wir alle sind besonders bestrebt, das Land wieder auf den richtigen Weg gelangen zu sehen.“
Landwirtschaftssektor stark betroffen
Bislang haben die Fluten knapp ein Fünftel Pakistans betroffen. Das entspricht in etwa der Größe Italiens. Das Hochwasser, das zuerst im Nordwesten auftrat, hat sich entlang des Indus bis in die Provinzen Punjab und Sindh bewegt. Dort zerstörten die Fluten Millionen Hektar Erntefelder im sogenannten „Brotkorb“ Pakistans.
Der Landwirtschaftssektor macht in Pakistan 20 Prozent der gesamten Wirtschaft aus. Dass das Unwetter diesen wichtigen Sektor erheblich beschädigt hat, belastet das schon vor der Flutkatastrophe wirtschaftlich stark angeschlagene Land. Etwa 60 Prozent der 170 Millionen Einwohner leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. Vergangenes Jahr musste die Wirtschaft mit 7,6 Milliarden Dollar (knapp sechs Milliarden Euro) aus dem internationalen Währungsfonds gestützt werden.
Nicht nur die Landwirtschaft ist von der Flutkatastrophe betroffen. Die durch das Hochwasser beschädigten Baumwollfelder werden vermutlich der Textilindustrie zu schaffen machen. Die Preise für Gemüse, Fleisch und Milchprodukte sind jetzt schon drastisch gestiegen.
Unpopuläre Regierung vor großer Herausforderung
Islamabad steht vor einer großen Herausforderung. Die Behörden müssen nicht nur Häuser und die Infrastruktur wieder aufbauen. Sie muss den Menschen, von denen viele alles verloren haben, wieder zu Arbeit verhelfen.
Die Regierung, die bereits vor den Überflutungen bei der Bevölkerung unbeliebt war, sieht sich derzeit mit Protesten, manche davon gewaltsam, konfrontiert. „Es gibt keinen Strom, kein Wasser, keine sanitären Einrichtungen, kein Essen,“ sagte Mahboob Ali, der am Freitag aus Protest gegen die Zustände in seinem Hilfslager eine Straße blockierte. „Wir können die Schreie unserer Kinder nicht ertragen. Sie haben Hunger.“
Die Flutkatastrophe hat auch den Zusammenhalt der Regierung gefährdet. „Die Unfähigkeit der Zentralregierung (mit der Flutkatastrophe) fertig zu werden, könnte ihre Autorität schmälern, was Anlass zur Sorge ist,“ sagte ein britischer Regierungsbeamter. „Dies macht die Dinge noch schwieriger“.
Militante Islamisten könnten Zuwachs bekommen
Manche der am stärksten von der Flutkatastrophe betroffenen Gebiete sind Hochburgen der Al-Kaida, der Taliban und mit ihnen verbundenen Extremistengruppen.
Islamistische Wohltätigkeitsorganisation, manche davon mit Verbindungen zu Militanten, sind den Betroffenen schneller zur Hilfe geeilt als die Regierung. Amerikanische und pakistanische Beamte haben davor gewarnt, Extremisten könnten aufgrund ihrer Hilfeleistungen in den überfluteten Gebieten neue Mitglieder gewinnen.
„Wenn die pakistanische Regierung und die internationale Gemeinschaft diesen Leuten (den Betroffenen der Flutkatastrophe) nicht helfen, sind die klassischen Bedingungen gegeben, die es aufständischen Gruppen ermöglichen, die Rolle einzunehmen, in der sie das bieten, was die Regierung nicht geboten hat,“ sagt der britische Abgeordnete Adam Holloway.
Islamische Militanten profitieren auch davon, dass das Militär eine führende Rolle im Einsatz für die Opfer des Hochwassers eingenommen hat. Die Bereitschaft, neue Einsätze gegen Militante im Nordwesten des Landes durchzuführen, ist zurückgegangen. Schließlich wird befürchtet, militärische Großeinsätze würden einen noch größeren Zuwachs an Flüchtlingen bedeuten. Insbesondere in der Stammesregion Nord-Waziristan an der Grenze zu Afghanistan, die als Rückzugsgebiet für Extremisten der Al-Kaida und Taliban gilt, wird - entgegen Hoffnungen der USA - der Militäreinsatz vorerst wohl nicht verstärkt.
Frachtflugzeug mit Hilfsgütern aus NRW
Am Sonntag ist ein Frachtflugzeug vom NATO-Militärflugplatz im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen mit Hilfsgütern für Pakistan gestartet. An Bord der Maschine sind unter anderem Generatoren, Zelte und Wasserpumpen für die Flutopfer, wie die NATO mitteilte. Die internationale Organisation folge mit den Lieferungen Anfragen von pakistanischen Behörden. Die Hilfsmittel wurden von der Slowakei gespendet.