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Resistenz-Gene machen aus Bakterien Superkeime, gegen die Antibiotika wirkungslos bleiben. Ein Patient ist im Juli bereits an einer Infektion mit solchen multiresistenten Keimen verstorben.
Mediziner und Wissenschaftler beobachten mit Sorge die Ausbreitung von Bakterien mit Eigenschaften, die sie gegen Antibiotika unempfindlich machen. Diese Keime verfügen über Resistenzgene und vermehren sich rasch. Sie sind schwierig zu therapieren, da beinahe alle bekannten Mittel wirkungslos bleiben. .
Ein Team von Wissenschaftlern hat in der Ärztezeitschrift Lancet über die weltweite Ausbreitung des Resistenzgens NDM-1 in Pakistan und Indien berichtet. Auch in Großbritannien wurden bereits Fälle gemeldet, ebenso in Großbritannien, Belgien, Südostasien und in den USA. In Deutschland hat das Robert-Koch-Institut (RKI) inzwischen vier Fälle registriert. Vermutlich wurden diese Superkeime aus Krankenhäusern in Indien und Pakistan eingeschleppt. Indien ist wegen seiner preiswerten Schönheitsoperationen ein beliebtes Ziel für Kunden aus aller Welt. Das Robert-Koch-Institut befürchtet auch deshalb eine weitere Ausbreitung der resistenten Keime: „In unserer Welt mit ausgeprägtem internationalem Tourismus, Handel und Wirtschaftsverflechtungen können sich, wie auch am Beispiel der neuen Grippe erlebt, Infektionserreger sehr schnell über Kontinente hinweg ausbreiten.“
Zwei Mittel bleiben übrig
Die Abkürzung NDM bedeutet Neu-Delhi-Metallo-Beta-Laktamase und bezeichnet ein Eiweiß, das den Keim gegen sämtliche gängigen Antibiotika immun macht. Dieses Eiweiß ermöglicht es dem Bakterium sogar, auch Antibiotika vom Typ Carbapeneme unschädlich zu machen, die Ärzte eigentlich für besonders schwere, sonst unbehandelbare Infektionen reserviert haben. Als letzte Mittel im Kampf gegen den Keim bleiben den Medizinern dann nur noch zwei Antibiotika übrig: das seit langem bekannte Colistin und das aktuelle Reserveantibiotikum Tigecyklin. Die Entwicklung eines komplett neuen Mittels benötige bis zur Anwendungsreife rund zehn Jahre, so das RKI. Neue Antibiotika seien aber „nicht in Sichtweite“.
An der Ruhr-Universität Bochum wird die Verbreitung multiresistenter Keime am „Nationalen Referenzzentrum für Gram-negative Krankenhauserreger“ (NRZ) untersucht. Entwarnung können die Bochumer Mikrobiologen nicht geben: „Es ist zu befürchten, dass die Bakterien zukünftig auch gegen die beiden Reserveantibiotika resistent werden“, sagt Dr. Martin Kaase, stellvertretender Leiter des NRZ dieser Zeitung. Die Fachwelt beobachte die Entwicklung mit Sorge. Im Falle einer Ausbreitung dieser Bakterien stünde kein Gegenmittel mehr zur Verfügung. Solche „pan-resistenten Bakterienstämme“ seien bereits beschrieben worden, sagt Kaase. Dennoch bestehe derzeit für die Bevölkerung keine Gefahr, gibt er Entwarnung. Bakterien mit Resistenzgenen seien extrem selten, deutlich unter 0,1 Prozent aller Bakterienstämme verfügten über die gefürchteten Eigenschaften, schätzt Kaase. Das Risiko, sich anzustecken, sei somit momentan „vernachlässigbar“.
Geringe Ansteckungsgefahr
Aber nicht nur das jetzt entdeckte Gen bereitet den Experten Kopfzerbrechen. Es gibt eine Reihe weiterer Resistenzgene, die auch in Deutschland häufiger sind als NDM-1, etwa das 1999 entdeckte VIM-Gen, das 2001 beschriebene KPC-Gen, sowie das OXA-48-Gen (2004). Sie alle führen ebenfalls zu einer Resistenz der Bakterien gegen Reserveantibiotika. Der ewige Kampf Mensch gegen Mikrobe geht also in eine neue Runde.