Essen. .

Der Berliner Senat will offenbar mit einer Bundesratsinitiative Tempo 30 in allen geschlossenen Ortschaften durchsetzen. In NRW stößt der Vorstoß auf wenig Gegenliebe. Der Duisburger Verkehrsforscher Michael Schreckenberg hält ein flächendeckendes Tempo 30 sogar für gefährlich.

Tempo 30 soll in allen geschlossenen Ortschaften Deutschlands zur Regel werden, jedenfalls, wenn sich der Berliner Senat mit seiner offenbar geplanten Bundesratsinitiative durchsetzt. „Das ist eine uralte Forderung von uns“, sagt Dirk Jansen vom BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Sprecher des Landesverbands NRW.

„Mit dieser Tempobegrenzung könnte man den Ausstoß von Stickstoff-Dioxid, die Feinstaub-Belastung sowie den Verkehrslärm wirksam eindämmen.“ Die Menschen, die im Ballungsraum Rhein-Ruhr lebten, seien bereits jetzt massiv in ihrer Gesundheit beeinträchtigt – auch wegen der Pendler, die jeden Tag vom Grünen in das Ruhrgebiet hineinführen.

Jansen hofft darauf, dass mehr Menschen auf umweltfreundliche Verkehrsträger wie Bahn oder Fahrrad umsteigen, wenn Tempo 30 flächendeckend in den Städten eingeführt werden sollte. „Allerdings braucht es dazu eine Investitionsoffensive bei der Bahn“, so Jansen. „In seiner jetzigen Form ist der Nahverkehr sicherlich unattraktiv.“

Verkehrsforscher hält Vorschlag für gefährlich

Dass ein flächendeckendes Tempo 30 nicht nur die Umwelt schützt, sondern vor allem die Sicherheit erhöht, betont der Verkehrsclub Deutschland (VCD) – und stößt damit auf energischen Widerspruch des Duisburger Verkehrsforschers Michael Schreckenberg. Der Physik-Professor hält den Tempo 30-Vorstoß aus Berlin sogar für gefährlich.

„Untersuchungen in Schweden haben gezeigt, dass Autofahrer, deren Höchstgeschwindigkeit für diesen Test elektronisch auf Tempo 30 gedrosselt worden ist, besonders aggressiv werden“, sagt Schreckenberg, der bei weiteren Untersuchungen in Essen noch eine interessante Entdeckung machte: „Wenn Sie lange nur 30 km/h fahren, werden Sie mit der Zeit vollkommen unkonzentriert. Sie beschäftigen sich mit anderen Dingen wie Telefonieren, Radio hören oder Essen – und achten nicht mehr auf den Verkehr. Ihr Hirn schaltet komplett ab.“

Autofahrer würden sich vielmehr an eine niedrige Höchstgeschwindigkeit halten, wenn sie einen klaren Grund erkennen könnten – vor Schulen, Kindergärten oder Seniorenheimen. „Wenn Sie aber überall Tempo 30 machen, verpufft die Wirkung und dann halten sich die Leute bald überall nicht mehr an dieses Tempolimit“, sagt Schreckenberg. Er erinnert zudem süffisant an die 50er Jahre. Damals seien alle Verkehrsbegrenzungen in den Städten aufgehoben worden, um das Wirtschaftswachstum nicht zu behindern.

Dem Berliner Entwurf zufolge solle künftig nur noch dort, wo Verkehrszeichen dies ausdrücklich erlauben, schneller gefahren werden dürfen, teilte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung der „Berliner Zeitung“ mit. „Auf Hauptverkehrsstraßen soll weiterhin Tempo 50 gelten. Das ist unstrittig“, sagte Verkehrsplaner Horst Wohlfarth von Alm. Die geplante Initiative ziele darauf, die „Wahrnehmung der Autofahrer zu verändern“. Dabei gehe es vor allem um Städte und Gemeinden, in denen es kaum noch Tempo-30-Bereiche gibt.

Stadt hält Vorschlag für unpraktikabel

Etliche Kommentatoren bei DerWesten glauben, dass der Berliner Vorschlag lediglich mehr Geld in die städtischen Kassen spülen soll. Mehr Tempolimits bedeuteten auch mehr Radarfallen und mobile Verkehrsüberwachung, argumentieren sie. Detlef Feige, Sprecher der Stadt Essen, winkt ab: „Erst einmal würde Tempo 30 dem Verkehrsfluss einer Großstadt nicht gut tun.

Außerdem: Wie sollen wir das überwachen? Die Polizei würde sich sicherlich auch bedanken.“ Und selbst wenn eine flächendeckende Überwachung möglich wäre: „Die Grenze von legitimen Verkehrskontrollen an Schulen und Kindergärten hin zur Abzocke wäre überschritten. Das ist keinem Bürger zu vermitteln“, sagt Feige. Die bestehenden Tempo 30-Zonen in Essen würden vollkommen ausreichen.

Dass Städte auch weiterhin autonom entscheiden, wo sie solche Zonen einrichten, befürworten ebenso der ADAC wie das Bundesverkehrsministerium. Schon heute könnten die Straßenverkehrsbehörden der Länder unter den Voraussetzungen des Paragrafen 45 der Straßenverkehrsordnung großräumige Tempo 30-Zonen anordnen, sagte ein Ministeriumssprecher.

Auch das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium lehnt ein generelles Tempolimit „grundsätzlich“ ab. Allein für den ländlichen Raum, in dem ein geringeres Verkehrsaufkommen als in Metropolen herrsche, sei Tempo 30 nicht sinnvoll, sagt Pressereferent Peter Kummer. „Wenn man Autofahrer tatsächlich zu langsamerem Fahren bringen will, müsste man eher an der Gestaltung des Straßenraums ansetzen. Denn wenn eine Straße gut ausgebaut ist, fahren viele oft schneller als erlaubt.“