Essen. .

Vor gut einem Jahr hat Klaus Engel den Posten des Vorstandsvorsitzenden übernommen. Und es hat sich gezeigt: Evonik in Essen und Engel – das passt. Mit der NRZ sprach er über neue Konzernstrategien, über seine Erdung in der Region und deren Stärken.

Von seinem Büro im 21. Stock der Essener Konzernzentrale hat Klaus Engel einen prächtigen Blick über das Ruhrgebiet. Hier der Oberhausener Gasometer, dort die Schalke-Arena. „Man muss die Konkurrenz immer im Auge haben”, scherzt der Chef des Evonik-Konzerns, der auch Hauptsponsor des anderen großen Revierclubs Borussia Dortmund ist. Für jemanden, der es so weit nach oben gebracht hat, ist Engel erstaunlich gut geerdet – wie die Region, in der er lebt und arbeitet.

Der 53-jährige Engel ist in Duisburg geboren, und er ist ein Mann des Ruhrgebiets geblieben. Und wer mit ihm spricht, hört, dass er die Sprache des Reviers spricht. Über das Ruhrgebiet, seine Menschen, seine Kultur und seinen Wandel erzählt er mit der gleichen Begeisterung wie über seinen Job als Lenker eines weltweit aktiven Industriekonzerns mit rund 40 000 Mitarbeitern. Das Wort „Mitbestimmung” fällt oft im Ge­spräch mit der NRZ, und es zeigt, dass Engel kein Manager vom „Wir-da-oben-ihr-da-unten”-Schlag ist, sondern dem es aufs Miteinander ankommt.

Ohne Kahlschläge und Nebengeräusche

Der Vorstand von Evonik, Dr.Klaus Engel im Gespräch mit der NRZ.
Der Vorstand von Evonik, Dr.Klaus Engel im Gespräch mit der NRZ. © NRZ

So hat er die schwierige Phase, in die auch der Essener Konzern mit seinen Sparten Chemie, Energie und Immobilien im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise des vergangenen Jahres geriet, ohne Kahlschlag in der Belegschaft und ohne große Nebengeräusche gemeistert. Engel steuerte mit einem umfangreichen Sparpaket und Kurzarbeit gegen. Die Zeit der Kurzarbeit, von der in der Spitze bis zu 3500 Mitarbeiter betroffen waren, ist weitgehend überwunden. Doch gespart werden muss weiter, 300 Millionen Euro waren das Ziel im vergangenen Jahr, bis 2012 sollen es jährlich 500 Millionen sein. Denn die Wettbewerber, sagt Engel, „schlafen auch nicht”.

Um das Unternehmen heil durch die Turbulenzen der Krise zu bekommen, die etwa die Chemiebranche in die schwerste Rezession seit 30 Jahren stürzte, verzichteten alle Mitarbeiter auf variable Vergütungsbestandteile. „Das war ein ordentlicher Batzen im Sparprogramm”, sagt Engel. „Wir müssen den Mitarbeitern unseren Dank zollen. Mir ist wichtig, dass wir das solidarisch machen – vom gesamten Vorstand bis hin zur Mannschaft. Und wir haben bis Ende 2012 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen – wenn uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt. Aber davon gehen wir mal nicht aus.”

„Die Mitarbeiter und die Mitbestimmung können sich in guten wie in schlechten Zeiten auf das Unternehmen verlassen. Und wir können uns auf unsere Mitbestimmung verlassen”, sagt der großgewachsene Manager. So geht auch die strategische Neuausrichtung des Konzerns, in dem Engel Evonik in den kommenden Jahren von einem Mischkonzern zu einem weltweit führenden Spezialchemieunternehmen wandeln will, bislang weitgehend geräuschlos über die Bühne.

Umwälzungen gewöhnt

Der Blick Engels richtet sich nun wieder nach vorne: „Wir wollen in der Zukunft noch mehr aus dem Unternehmen machen. Das Pflichtprogramm haben wir erfüllt, die Zahlen werden das zeigen. Und wir haben die wesentlichen Weichen gestellt, wie es mit Evonik weitergehen soll.”

Große Umwälzungen sind die Evonik-Mitarbeiter ge­wöhnt. Das Unternehmen ist aus den Industrieteilen des früheren RAG-Konzerns hervorgegangen, die der damalige Chef Werner Müller als „weißen Bereich” vom „schwarzen Bereich” des Steinkohlenbergbaus an Ruhr und Saar abtrennte. Mehrheitseigner Evoniks ist die RAG-Stiftung. Sie hat den Auftrag, durch den Erlös aus dem Verkauf von Evonik-Anteilen den Kapitalstock für die Folgekosten des Steinkohlenbergbaus, die so genannten Ewigkeitslasten, zu schaffen.

Ein erster Schritt war der Verkauf eines 25,01-Prozent-Anteils an den Finanzinvestor CVC Capital Partners im Juni 2008. Das Ziel eines Börsengangs für Evonik ist aufgrund des schlechten Umfeldes aber zunächst aus dem Fokus gerückt. „Der Börsengang wird kommen. Wenn die Märkte wieder so weit sind, werden wir es auch sein”, so Engel.

Stärkere Ausrichtung auf die Chemie

Auch interessant

Zunächst wird Evonik noch stärker auf die Chemie ausgerichtet. Ein Geschäft, von dem Engel wirklich etwas versteht. An der Ruhr-Universität Bochum machte er sein Chemie-Diplom und promovierte. Bei den Chemischen Werken Hüls in Marl startete er seine berufliche Karriere und war unter anderem Vorstand des Chemielogistikers Brenntag, bevor er zur früheren Eon-Tochter Degussa ging. RAG-Chef Müller, den er aus gemeinsamen Veba-Zeiten kennt, machte ihn nach der Degussa-Übernahme dort zum Chef. Als Müller ging, wurde Engel Evonik-Chef.

Seine Arbeitstage, erzählt Engel, beginne er in der Regel morgens um halb acht mit einem Druck auf den Knopf seiner Espresso-Maschine. Vor Mitternacht gehe er eigentlich nie zu Bett. Schlaf, sagt er, könne man am Wochenende nachholen. Dann sitzt er auch gerne mit Freunden bei einem Glas Rotwein bei seinem Lieblingsitaliener oder schwingt sich aufs Fahrrad, um von Mülheim­Saarn aus, wo er mit seiner Frau lebt, die Region zu erkunden. Vorgenommen haben sie sich eine Tour de Ruhr von der Quelle bis zur Mündung. „Dafür brauche ich aber mal vier, fünf freie Tage.”

„Ich mag das Ruhrgebiet“

Mit dem Fahrrad war auch sein Großvater mütterlicherseits nach Duisburg-Hamborn ins Ruhrgebiet gekommen – von Oberschlesien aus. Am „Monte Schlacko”, einer Halde in Walsum, habe er sich beim Fußballspielen so manche Narbe geholt, erzählt er. „Ich bin in einer Region groß geworden, wo das Zerdeppern von Fenstern und Garagentoren beim Kicken ja ein Stück weit zur Grundausbildung eines Jungen gehörte.”

Sein Onkel nahm ihn mit zu den Spielen von Hamborn 07, dem Duisburger Lokalkontrahenten des MSV. Aber wenn Detlef Pirsig oder „der unvergessene” Ennatz Dietz gegen die Bayern antraten, war auch bei Engel in späteren Jahren die Rivalität zum MSV für ein Spiel vergessen.

Dass die Spieler der Dortmunder Borussia den purpurnen Evonik-Schriftzug auf der Brust tragen, nennt er ein „tolles Engagement”. Das Image des BVB passe gut zu dem, „was wir auch sein wollen: modern, sympathisch, kreativ und mutig”. Man könne nicht immer Bayern München Meister werden lassen. „Es muss auch mal ein Ruhrgebietsverein nach vorne.”

„Ich mag das Ruhrgebiet”, sagt Engel. „Wenn wir dem Ruhrgebiet Gutes tun wollen, dürfen wir uns nicht irgendwelche überkandidelten Konzepte ausdenken, die der Seele und dem Erbgut des Ruhries nicht entsprechen. Die Leute hier sind bodenständig, sie sind geradeheraus, sie haben eine hohe Erfahrung mit einem extremen Strukturwandel, sie sind integrationsfähig, ehrlich und teamorientiert.”

Deshalb hat der Evonik-Chef im Unternehmensbündis Initiativkreis Ruhrgebiet (IR) eine Diskussion über den Stellenwert des Klavier-Festivals Ruhr im Vergleich zu anderen IR-Projekten für Ausbildung und Bildung in Gang gebracht. „Ich bin kein Kulturbanause, ich gehe auch gerne in ein Klavierkonzert und kann ein Puccini-Libretto auf Italienisch lesen. Dem Ruhrgebiet mangelt es nicht an kulturellen Institutionen, auch nicht an Industriedenkmälern. Aber ich glaube, wir sollten mal genau hinschauen, ob wir nicht einen Mangel haben an Schulen, Ausbildung und Innovation.”

Werbung für die Chemie

Der Evonik-Chef weiß, dass gerade Chemie-Unternehmen in der Bevölkerung stets unter kritischer Beobachtung stehen. „Man muss mit Ängsten sicherlich ernsthaft umgehen. Die haben wir in vielen Bereichen: Kernenergie, Kohle, Nano- und Gentechnologie.” Die Wirtschaft müsse einen Beitrag leisten in der Diskussion über Chancen und Risiken. Dazu gehöre auch, gerade Familien mit Kindern und Lehrern Wirtschaft besser zu erklären. „Man darf nicht nur Kampagnen machen nach dem Motto ‘Chemie ist, wenn der Pudding leuchtet’, sondern wir müssen auch an die Schulen gehen.” Hier wolle sich Evonik nun verstärkt engagieren. Engel hat deshalb jüngst auch seinen Chefsessel gegen die Schulbank getauscht, um mit Schülern zu diskutieren.

Auf einen großen Umbau seines Büros im 21. Stock des Evonik-Turms hat er im Übrigen verzichtet. Das Mobiliar hat der Manager von seinem Vorgänger übernommen und dazu ein paar Bilder des Malers Horst Becking aufgehängt. Der stammt aus Hagen und hat seine künstlerische Ausbildung unter anderem an der Fachhochschule Dortmund bekommen – auch das passt zum Ruhrgebietsmann Engel.