Berlin. .
Christian Wulff weiß, was sich gehört. Er geht ein paar Schritte hinter Angela Merkel. Das wird sich bald ändern, rein protokollarisch. Jetzt rückt er erst mal in die Mitte der Chefs von CDU, CSU und FDP, die sich unter der Glaskuppel des Reichstages aufgestellt haben, und lächelt versonnen. Aus der Mitte von Schwarz-Gelb soll der Bundespräsident kommen, und FDP-Chef Guido Westerwelle liefert den Text zum Signalfoto. Wulff wisse, „welche geistige Achse unsere Republik braucht“. Es ist Donnerstagabend, eine seltsame und aufwühlende Woche neigt sich dem Ende zu. Zurück liegt ein Rücktritt aus heiterem Himmel und ein Lehrstück über Machtpolitik.
Merkel gibt zu Protokoll, sie halte den niedersächsischen Ministerpräsidenten für einen „wunderbaren zukünftigen Bundespräsidenten“. Sie lächelt tapfer dazu. Das Ergebnis ist schon okay. Aber sie hat den Prozess nicht zugunsten ihrer Ministerin Ursula von der Leyen steuern können. Das ist eine kleine politische Offenbarung.
Schon am Montagabend – der Rücktritt Horst Köhlers ist ein paar Stunden alt – stellt Merkel in einer Schaltkonferenz der CDU-Führung klar, dass Union und FDP die Mehrheit haben und „einen von uns nehmen“. Nie hat sie die staatstragende Lösung – ein gemeinsamer Kandidat mit der Opposition – ernsthaft erwogen. Sie hat aber in Interviews so geredet. Die SPD nimmt sie beim Wort. Zweimal bekommt sie eine SMS von SPD-Chef Sigmar Gabriel, am Dienstag mit einem Angebot und anderntags bereits mit dem Namen Joachim Gauck.
Die normative Kraft des Faktischen...
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Ab Dienstag sind vier Namen im Gespräch, die Sozialministerin, Wulff, Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble. Jeder von ihnen ist parteipolitisch exponiert und für die SPD nicht wählbar. Eine Meldung macht mit Bezug auf „CDU-Kreise“ die Runde, wonach Ursula von der Leyen die Favoritin sei. Weder die Kanzlerin noch die Ministerin tun irgendetwas, um den Eindruck zu relativieren. Manchmal entwickeln Nachrichten eine Eigendynamik, und hinterher ist dann von der normativen Kraft des Faktischen die Rede...
Wenn es der Versuch gewesen sei, mit von der Leyen Fakten zu schaffen, habe das „Girlscamp“ um Merkel „die Machos in der CDU“ unterschätzt, erzählt einer, der auf Länderseite den Prozess verfolgt hat. Zwei Frauen an der Spitze des Staates – nun ist aber gut. Zwar haben weder die FDP noch die CSU Einwände gegen die Ministerin. Aber schon bei der nächsten „Schalte“ am Mittwoch wird klar, wie der Wind weht. Da sprechen sich mehrere Teilnehmer dafür aus, lieber einen Ministerpräsidenten zu benennen. Jeder weiß, dass Wulff gemeint ist. Der tritt nicht in Erscheinung, sondern lässt andere für sich werben.
Im Prinzip ist von der Leyen am Mittwoch aus dem Rennen. Nun bleibt Merkel eine Umbildung des Kabinetts erspart. Aber in den Medien hat sich eine große Welle aufgebaut: Von der Leyen weckt Fantasien. Der Umkehrschluss: Ihre Niederlage provoziert Enttäuschung und schlägt auf Merkel zurück.
„Ich habe Wehmut über Köhlers Rücktritt“
Union und FDP haben in der Bundesversammlung rund 645 Stimmen, 22 „über dem Durst“. Der Stimmenblock von Grünen und SPD beträgt 460 Stimmen. Wulffs Wahl – reine Formsache.
Ursula von der Leyen war von ihrem früheren Kabinettschef Wulff offenkundig darüber im Unklaren gelassen worden, welche Pläne er verfolgte. Der spielt derweil seine Paraderolle: Mr. Harmlos. Noch am Donnerstag fährt er nach Cuxhaven zum Seeschifffahrttag und mimt den Ahnungslosen. „Vielleicht weiß ich ja heute Abend mehr“, ruft er den Journalisten zu. Kurze Zeit später ist Wulff schon unterwegs nach Berlin.
Er wird behaupten, dass er sich auf die Aufgabe freue und die Menschen zusammenführen könne. „Natürlich habe ich auch ein bisschen Wehmut, dass Horst Köhler zurückgetreten ist in dieser Woche.“ Er ist der einzige aus der Runde, der Köhler überhaupt noch erwähnt. So schnell geht das.