Karlsruhe. .

Der Bundesgerichtshof hat sich mit Rechtsfragen der aktiven Sterbehilfe befasst. Der Anlass: Ein Rechtsanwalt wurde wegen gemeinschaftlich begangenen versuchten Totschlags verurteilt. Er legte Einspruch ein.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich am Mittwoch mit grundsätzlichen Rechtsfragen der aktiven Sterbehilfe befasst. Anlass war die Verurteilung des Rechtsanwalts Wolfgang Putz, der als einer der profiliertesten deutschen Anwälte in Sachen Patientenrecht gilt. Putz war wegen gemeinschaftlich begangenen versuchten Totschlags zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Der Anwalt hatte im Dezember 2007 Angehörigen geraten, ihre im Wachkoma liegende Mutter sterben zu lassen, indem sie die Magensonde durchschneiden und damit die künstliche Ernährung beenden sollten.

Der BGH diskutierte in dem Zusammenhang, inwieweit sich zwei Gesetze widersprechen. Zum einen das 2009 verabschiedete Patientenverfügungsgesetz, das den Sterbewillen der betroffenen Person respektiert. Dagegen steht das Verbot der Tötung auf Verlangen. Der Verteidiger des Anwalts plädierte auf Freispruch, da sein Mandant mit dem Rat, die Sonde zu durchschneiden, keine aktive Tötung verfolgt habe.

Der Patientin wurden alle Zähne gezogen, ein Arm wurde amputiert

Der Fall, der zur Verurteilung von Wolfgang Putz führte, dürfte bislang einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte sein: Nach einer schweren Hirnblutung fiel die 71-jährige Erika Küllmer im Oktober 2002 in ein Wachkoma. Sie war nicht mehr ansprechbar und wurde in dem Pflegeheim „Residenz Ambiente“ in Bad Hersfeld fortan über eine sogenannte PEG-Sonde, einen Schlauch durch die Bauchdecke in den Magen, mit Kunstbrei und Wasser versorgt. Ihr wurden alle Zähne gezogen; die brauchte sie nicht mehr, und sie hätten ansonsten sinnlos geputzt werden müssen. Sie bekam einen Luftröhrenschnitt um Schleim abzusaugen, an dem sie hätte ersticken können. Und sie bekam vom ersten Tag an Morphium, für alle Fälle.

Ende 2006 musste der Frau ein mehrfach gebrochener und ausgekugelter Arm amputiert werden. Wie es zu der Verletzung kam, blieb unklar. Dass der Arm schon schwarz war und stank, hatten die Kinder der Frau und nicht das Pflegepersonal bemerkt. Der Arm wurde im Krankenhaus abgenommen und Frau Küllmer danach im Heim wieder an die Nahrungsflaschen angedockt.

Tochter der Patientin wurde verhaftet

Ihre Tochter sah darin keinen Sinn mehr und wollte ihre Mutter mit einem Rest an Würde sterben lassen. Der Hausarzt ordnete dann zwar an, die Sondenernährung einzustellen. Doch das Heim weigerte sich und entschied nach einigem Hin und Her: Entweder Frau Küllmer wird weiter künstlich ernährt oder ihre Tochter, die die Flaschen abklemmen will, bekommt Hausverbot erteilt.

Die verzweifelte Tochter kontaktierte Anwalt Putz per Telefon aus dem Heim und Putz empfahl der Tochter daraufhin, den PEG-Schlauch durchzuschneiden. Das tat diese auch - und wurde verhaftet. Erika Küllmer bekam in einem Krankenhaus eine neue Sonde gelegt und starb dort Tage später aus anderen Gründen, allein und ohne ihre Tochter.

Das Landgericht Fulda sprach die Tochter zwar frei, weil sie dem Rat des Anwalts irrtümlich gefolgt sei. Doch Putz verurteilte es wegen versuchten Totschlags zu neun Monaten auf Bewährung. Begründung: Die Fortführung der künstlichen Ernährung entgegen der ärztlichen Anordnung sei zwar Körperverletzung gewesen. Den Schlauch jedoch zu durchschneiden, das sei „Töten durch aktives Tun“ und damit strafbar.

Ob Putz zu aktiver Sterbehilfe geraten hat, oder ob der Schnitt durch den Schlauch ein zulässiger „Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung durch Unterlassen“ war, und damit passive Sterbehilfe, muss nun der BGH entscheiden. Dass sein Grundsatzurteil möglichst klar ausfällt, Patientenrechte stärkt und Pflegeheimen deutliche Grenzen setzt, hofft nicht nur Anwalt Putz.

Die Richter diskutierten mehr untereinander als mit der Verteidigung

Auch das Gericht tat sich am Mittwoch schwer mit einem abschließenden Urteil: Die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan deutete noch keine Richtung der Entscheidung an. Einerseits, so die Richterin, sei die Tötung auf Verlangen strafbar, anderseits müsse der vorab geäußerte Wille von Wachkoma-Patienten beachtet werden. Beides sei gesetzlich vorgeschrieben.

Entscheidend sei deshalb, ob das Durchschneiden des Schlauchs als aktive Tötungshandlung gewertet werde oder ob damit nur der Wille der Mutter zum Behandlungsabbruch umgesetzt wurde. Die Beratungen des fünfköpfigen Senats werden voraussichtlich lebhaft werden. Bei der Verhandlung diskutierten die Richter zeitweise mehr untereinander als mit Verteidigung und Bundesanwaltschaft.

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 844 000 Menschen, etwa 90 Prozent davon in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Und dort werden jedes Jahr Schätzungen zufolge 140 000 PEG-Sonden gelegt, auch um hirntote Menschen über Jahre am Leben zu erhalten. Nicht nur Putz hofft, dass der BGH mit Blick auch auf sie klärt, unter welchen Umständen solch eine künstliche Ernährung medizinisch nicht mehr indiziert ist. (afp/ap/ddp)