Essen.

Obwohl NRW unter Lehrermangel leidet, gehen in diesem Jahr 600 Bewerber um ein Referendariat leer aus. Beim Auswahlverfahren spielt der Bedarf in den Mangelfächern zudem kaum eine Rolle.

Nordrhein-Westfalen hat ein Problem. Es heißt Lehrermangel und führt dazu, dass Unterricht an Schulen manchmal nicht so stattfinden kann, wie er es eigentlich sollte. Das ist bekannt. Schon seit Jahren. Deshalb hat das Schulministerium kräftig die Werbetrommel gerührt. Mit Erfolg: Inzwischen gibt es deutlich mehr junge Menschen, die Lehrer in Nordrhein-Westfalen werden wollen als früher. Doch für rund 600 von ihnen kommt jetzt die kalte Dusche: Für sie geht es nach dem Lehramts-Studium – vorerst – nicht weiter. Der Grund: Es gibt in diesem Jahr nicht genügend Referendariatsplätze.

Neues Problem: Bewerberschwemme

Bewerber mussten Examens-Ergebnisse früher vorlegen. Foto: ddp
Bewerber mussten Examens-Ergebnisse früher vorlegen. Foto: ddp

Absolventinnen wie die 27-jährige Essenerin Nina Pätzig fühlen sich vor den Kopf gestoßen: „Es hieß immer, es gebe Riesenbedarf an Lehrern, es wurde für das Studium geworben – und jetzt haben sie keine Plätze für uns“, sagt sie. Auch Berthold Paschert von der Bildungsgewerkschaft GEW hält das für ein Unding: „Wer A sagt muss auch B sagen“, findet er. Will heißen: Wer die Werbetrommel rührt, muss auch für genügend Referendariatsplätze sorgen. Jetzt hat das Land, neben Lehrermangel, ein neues Problem: Bewerberschwemme.

Ob 2600 Nachwuchs-Lehrer für Gymnasien und Gesamtschulen noch am 23. August in den sogenannten Vorbereitungsdienst kommen, wird für viele von ihnen zum Glücksspiel. An anderen Schulformen gibt es diese Engpässe nicht. Ein Auswahlverfahren wird bestimmen, wer wie geplant noch in diesem Sommer, also ziemlich bald nach Ende des Studiums, sein Referendariat beginnen kann und wer mindestens bis Februar 2011 die Zeit überbrücken muss, bis es eine neue Chance gibt. So ein Auswahlverfahren hat es seit den 90er Jahren in NRW nicht mehr gegeben, niemand, am allerwenigsten die Studenten, hatte ernsthaft damit gerechnet. Doch jetzt kommt es anders.

Unterlagen mussten bis 18. Juni vorliegen

Ein Nebeneffekt des Auswahlverfahrens ist, dass Bewerber ihre Examens-Ergebnisse bis spätestens 18. Juni einreichen mussten, ohne Auswahlverfahren wäre es der 9. August gewesen. Auf das spätere Datum hatten sich Hochschulen und Studenten eingestellt. An einigen Unis liegen allerdings die letzten Prüfungstermine nach dem 18. Juni, weshalb einige Studenten jetzt Alarm schlagen. Es werden wohl viele allein schon wegen der Frist an einem Berufseinstieg in diesem Jahr scheitern.

Auch wer es nach dieser Hürde ins Auswahlverfahren geschafft hat, muss weiter bangen. Zu 60 Prozent entscheidet die Note des ersten Staatsexamens darüber, ob man einen Platz bekommt, zu 25 Prozent die Wartezeit, zu fünf Prozent „außergewöhnliche Härten“ und nur zu zehn Prozent der Bedarf in den sogenannten Mangelfächern, also zum Beispiel in Mathematik und Naturwissenschaften. Wie groß der Bedarf in diesen Fächern aktuell tatsächlich ist, sei aber gar nicht bekannt, kritisiert die GEW. Tatsächlich stammt die jüngste Prognose des Schulministeriums aus dem Jahr 2006. Möglicherweise gebe es hier die Möglichkeit für einzelne verprellte Absolventen, gegen das Verfahren vorzugehen.

Die Ursache für die Flut von Bewerbern sieht das Schulministerium nicht nur in der Werbung um neue Lehrer. „33 Prozent der Bewerber für den Vorbereitungsdienst stammen mittlerweile aus anderen Bundesländern“, sagt Nina Heil, Sprecherin im Ministerium. Vor fünf Jahren seien es 14 Prozent gewesen, 2009 noch 25. Prozent. Während sich die Bundesländer im Wettbewerb um fertige Lehrer streiten, überlassen sie deren Ausbildung offenbar gerne den anderen. Eine Quote für „einheimische“ Absolventen gibt es freilich nicht. So konkurrieren Lehramtsstudenten in NRW mit Bewerbern aus ganz Deutschland. „NRW kann nicht die Fehler der anderen Bundesländer ausbügeln, deren Ausbildungsanstrengungen nicht ausreichen“, kritisiert das Ministerium.

Zulassungsbeschränkungen in fast allen Bundesländern

Tatsächlich gibt es in 13 von 16 Bundesländern regelmäßig Zulassungsbeschränkungen, in den meisten gibt es, anders als in NRW, auch nur einen Einstellungstermin.

An der grotesken Situation ändert das alles aber nichts. Während es zu wenige Lehrer gibt, sie länger arbeiten müssen und immer noch Quer- und Seiteneinsteiger in den Schuldienst gehen, kommt der Nachwuchs nicht so schnell zum Zuge wie es sein könnte. Jenen, die jetzt keinen Referendariats-Platz bekommen, wird angeboten, die Wartezeit als Vertretungslehrer zu überbrücken. Den Lehrermangel gibt es schließlich immer noch.